Im Frühjahr haben der Schauspieler Sebastian Jakob Doppelbauer und der Regisseur Oliver Meyer den Theaterfilm Aller Abend Tage produziert. Nun wird er in voller Länge auf der Website des Theaters zu sehen sein. Als Live-Event mit Gewinnspiel. Wir haben die beiden Initiatoren getroffen.

 


Oliver Meyer und Sebastian Jakob Doppelbauer
Foto: Kerstin Schomburg
 

 

Oliver und Sebastian, wie kam es zu eurer Idee, einen Film zu drehen?

 

Oliver Meyer: Das war im letzten Lockdown, es hat alles angefangen mit einem Planungs-Spaziergang in der Eilen­riede. Sebastian erzählte von seiner Idee, eine musikalische Reise durch das geschlossene Theater zu unternehmen, über Einsamkeit und dazu passende Songs. Inhaltlich hat sich unser Film dann noch mal in eine etwas andere Richtung entwickelt.

 

Sebastian Jakob Doppelbauer: Bei mir hatte es ganz viel mit den Umständen des Lockdowns zu tun – damit, dass die Leute nicht ins Theater kommen können, ich aber trotzdem etwas machen wollte. Ein neues Format. Ich hatte total Lust, was mit Musik zu machen.

 

Und dann ging es sofort los?

 

Doppelbauer: Wir hatten ziemlich schnell eine Fantasie zu diesem leeren Theater, in dem nichts stattfindet und das völlig seiner Funktion beraubt worden ist. Es war die Idee, dass etwas Kafkaeskes oder Alice-im-Wunderland-Mäßiges dort passiert.

 

Worum geht’s denn in dem Film?

 

Meyer: Es ist die Reise eines einsamen, traurigen Menschen, gespielt von Sebastian, durch ein Labyrinth von Treppen und Räumen. Hinter jeder Tür verbirgt sich etwas anderes, hinter jeder Tür warten unerwartete Begegnungen, teils berührend und sicherlich auch ziemlich absurd, manchmal erschreckend.

 

Doppelbauer: Ja, stimmt. Es geht um ganz viel Mummenschanz und Nonsens, Dinge, auf die wir einfach Bock hatten, eine Konfettikanone oder sprechende Banane. Es geht um die Suche nach einem Ausgang, einer Welt, die sich der Kontrolle des handelnden Individuums völlig entzieht. Das ist ja auch die Situation, in der wir alle gerade ein bisschen stecken: Egal mit wie viel Willenskraft oder Fleiß du jetzt daran arbeitest, die Situation der Welt in der Pandemie wirst du gerade nicht ändern können. Das entzieht sich dir.

 

Ihr wart also die Einzigen im Theater?

 

Meyer: Die Entwicklung des Drehbuchs hat etwas Zeit gebraucht. Als wir dann starten konnten, lief der Betrieb schon wieder etwas reduziert an.

 

Doppelbauer: Wir waren so drei bis vier Wochen jeden Tag hier im Theater, von morgens bis spät abends, auch am Wochenende. Ich habe da auch ziemlich viel entdeckt: geheime Gänge, die ich vorher gar nicht kannte.

 

Meyer: Wir sind dann auf die wöchentliche Technikrunde gegangen, wo die Leitung aller Gewerke zusammenkommt, und haben das Projekt vorgestellt. Wir hatten ganz bescheidene Wünsche wie: Wir würden gern mit allen Podien fahren, wir würden gern in dem großen "Iphigenie"-Bühnenbild drehen …

 

Doppelbauer: Nebelmaschine, buntes Licht in den Gängen …

 

Meyer: … wir brauchen Kostüme. Und wir stießen da auf eine tolle Technikmannschaft und alles wurde mit einem großen konstruktiven JA angenommen und umgesetzt.

 

Doppelbauer: Das hatte bestimmt schon auch mit dem Lockdown zu tun, alle hatten Bock, was zu machen. Olli, was ist dein persönliches Favourite-Requisit, das wir ermöglicht bekommen haben? Ich sag meins: Es waren die riesigen Niedersachsen-Flaggen. Die haben wir für die letzte Szene im Film bekommen, in der es zur Gerichtsverhandlung kommt. Das Grande Finale, in dem das Land Niedersachsen, gespielt von Amelle Schwerk, die namenlose Hauptfigur anklagt.

 

Meyer: Mein Lieblingsrequisit ist der Putzwagen – der kommt ziemlich gut.

 

Doppelbauer: Die leuchtende Flasche ist auch nicht schlecht.

 

Meyer: Stimmt … oder die härteste Tür Hannovers, gespielt von Fabian Dott. Er spielt eine sehr unglückliche und skeptisch auf die Welt blickende Tür, mit einem kritisch-philosophisch angehauchten Text. Eine Brandschutztür, die einfach so anfängt zu reden.

 

Und habt ihr eine Lieblingsepisode?

 

Meyer: Ja, ganz klar. Das hat ein wenig mit meinem Historikerherz zu tun, es ist die Szene mit Irene Kugler als Kronprinz Rudolph. Und du?

 

Doppelbauer: Der dadaistische Fahrstuhl! Mit Philippe Goos, Hajo Tuschy und Nikolai Gemel.

 

Das heißt, das ganze Ensemble spielt mit, und zwar wahlweise als Banane, Knopf, Tür und Co.?

 

Doppelbauer: Ja, genau. Es treten auch noch eine Richterin auf, ein Gerichtsschreiber, ein Lieferando-Bote, Kurt Schwitters, eine Sirene vom Felsen, die Odysseus nachreist.

 

Es ist also eine paradoxe und irre Welt, in der die Handlung spielt – wie seid ihr darauf gekommen, habt ihr euch im Lockdown so gefühlt?

 

Meyer: Es war schon vorher eine paradoxe Welt, und jetzt in der Rückschau ist es so, als hätte jemand die Haltewunsch-Taste gedrückt, ohne dass man es wirklich wollte. Vieles rückt in den Fokus und die Welt ist oft ungerecht, krank und brutal. Deswegen ist der Film alles andere als leise und still, dieses reflexhafte Weglachen von tiefer Traurigkeit und Betroffenheit ist etwas, was den Film auszeichnet, weil er es immer in die Absurdität treibt.

 

Doppelbauer: Mir verrätselt sich die Welt sowieso regelmäßig, und ich stehe vor nicht zu durchdringenden Schichten, die ich nicht verstehe.

 

Meyer: Die Hauptfigur kommt mal an einen Punkt der Verzweiflung, aber danach geht es sofort weiter mit dem Feuerwerk der guten Laune. Das umgibt uns ja jeden Tag. Und wir fragen uns, was steckt hinter diesem Feuerwerk? Hinter diesem Feuerwerk der guten Laune steckt auch ganz schön viel Schreckliches, was der Mensch sich gegenseitig antut.

 

Und was erwartet uns beim Online-Live-Event?

 

Doppelbauer: Wir veröffentlichen den Film in kleinen Episoden und zum Finale, wenn dann der ganze Film, inklusive der letzten Folge, zu sehen ist, werden wir live auf Sendung gehen. Ein paar Rätselfragen und Mitmachaufgaben anmoderieren. Es gibt ein pandemisch-sicheres Konzert vor dem Fenster mit Lieblingssongs aus dem Film zu gewinnen, wenn man eine Rätselfrage richtig beantwortet. Ich bin außerdem dafür, dass wir Fracks und Zylinder tragen. Ich habe mir jetzt ein Digital-Piano zugelegt, also sag ich mal: Alles ist möglich! Es wird eine Livestream-Premierenparty!

 

Wenn jetzt kein Lockdown wäre, was hättet ihr eigentlich gemacht?

 

Meyer: Ich betreue im Januar die Produktion Bilder deiner großen Liebe und danach starten die Proben für Bungalow im Ballhof Zwei.

 

Doppelbauer: Ich hätte Vorstellungen gespielt, Proben hätte ich tatsächlich noch nicht gehabt. Meine nächste Produktion ist Woyzeck in der Regie von Lilja Rupprecht. Aber ich kann viele Dinge, an denen ich arbeite, auch im Lockdown machen. Ich intensiviere das Musikmachen bestimmt im Lockdown. Und du, Olli?

 

Meyer: Ich werde puzzeln!

 

Doppelbauer: Oh Gott, das habe ich auch probiert.

 

Meyer: Macht dich das aggressiv?

 

Doppelbauer: Na, es geht. Aber ich war zu der Zeit im letzten Lockdown zu Hause bei meinen Eltern in Österreich, und dann kam meine Mama irgendwie dazu und hat mitgemacht. Sie hatte dann in kürzester Zeit superviele Teile zusammen, und dann hatte ich keinen Bock mehr. Dann soll sie es machen.

 

Meyer: Ich probiere es mal! Vielleicht halte ich es aber auch nicht aus. (Beide lachen.)

 

Das Interview führte Natalie Köhler

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