Generalmusikdirektor Stephan Zilias im Gespräch mit Konzertdramaturgin Swantje Köhnecke über das 1. Sinfoniekonzert: Ekstase

 

Das Programm zum Auftakt deiner dritten Konzertsaison mit dem Niedersächsischen Staatsorchester versammelt vier Werke aus elf Jahren, 1908 bis 1919. Was ist deine Idee hinter dem Programm?

 

Stephan Zilias: Dieser Zeitraum von etwa einem Jahrzehnt ist eine Epoche, in der weltgeschichtlich unglaublich viel passierte, und das spiegelt sich in der Kunst. Ein Weltbild, das viele Jahrzehnte, ja Jahrhunderte Bestand hatte, zerfällt. Der Schock des Ersten Weltkriegs trifft viele Menschen hart. Mir liegt daran zu zeigen, welche unterschiedlichen Musikströmungen in dieser spannenden Zeit durch Europa gezogen sind.

 

Die Werke stammen von vier Komponisten unterschiedlicher Nationen, die im Ersten Weltkrieg einander bekämpften. Sind da Nationalismen zu hören?

 

Die Stücke unterscheiden sich deutlich, aber ich würde die rauschhafte Musik von Alexander Skrjabin nicht als „typisch russisch“ und die fein ziselierte Musik von Claude Debussy nicht als „typisch französisch“ beschreiben. Ebenso wenig wie Edward Elgars Melancholie im berühmten Cellokonzert „typisch englisch“ ist. Es ist das späte Werk eines alten Komponisten, der Abgesang auf eine untergegangene Epoche. Und das unterscheidet es von der Musik für Orchester von Rudi Stephan, der meinte, noch sein ganzes Leben vor sich zu haben. Tragischerweise ist er im Ersten Weltkrieg mit 28 Jahren gestorben. Aber die Musik für Orchester, mit der wir das Konzert eröffnen, ist das Werk eines Menschen, der selbstbewusst in die Musikgeschichte hinaustritt und sich von vielen Strömungen abwendet, die es vorher gab.

 

Besonders spektakulär ist Skrjabins riesig besetztes Poème de l’extase. Das Gedicht, das dem Stück zugrunde liegt, lässt sich heute kaum ohne innere Distanz lesen – so überbordend, so ausufernd, so schwülstig wirkt es. Und die Musik?

 

Skrjabin hat sich als allumfassender Künstler verstanden. Er war Synästhet, hat Farben gehört, ein Gedicht komponiert. Der Schluss von Poème de l’extase ist ähnlich überwältigend wie der Text, aber der Weg dorthin wahnsinnig faszinierend. Rauschhaft, narkotisch, verführerisch, lasziv – das sind die Worte, die mir dazu einfallen.

 

Was bedeutet dieses Programm für das Orchester? Auf den Pulten liegt Musik aus einem Zeitraum von elf Jahren, aber die stilistische Bandbreite ist groß.

 

Wie in eigentlich jedem Konzertprogramm werden wir uns schnell umstellen müssen zwischen den verschiedenen Stilen. Wir wollen für jedes Stück seinen eigenen Klang finden. Das wird von uns viel Flexibilität verlangen und stilistisches Feingefühl. Aber das ist unser Orchester gewohnt und kann es sehr gut. Ein spannendes Programm – sehr farbig, sehr aufregend!

 

1. Sinfoniekonzert: Ekstase

Werke von Rudi Stephan, Edward Elgar,
Claude Debussy und Alexander Skrjabin

Sonntag, 02.10.2022, 17:00 Uhr
Montag, 03.10.2022, 19:30 Uhr

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