„Musik berührt tiefere Schichten im Menschen als die Sprache“

 

Das Drag-Musical Hedwig and The Angry Inch kommt jetzt im Schauspielhaus
auf die Bühne. Schauspieler Mohamed Achour und Dramaturg Hannes Oppermann
haben sich zum Interview getroffen: Über die Kunstfigur Hedwig, über jugendliche Träume und über den Song Wicked Little Town.

 

Fast genau vor einem Jahr haben wir Hedwig and The Angry Inch bis zur Generalprobe geprobt und mussten es dann schweren Herzens auf Eis legen. Wie ist es für dich, zurück auf die Bühne zu kommen?

 

Mohamed Achour: Ich kann mich gut an die letzte Probe erinnern, wie kaputt ich war, wie glücklich, aber auch unerlöst. Dass wir premierenreif waren, es aber unserem Publikum nicht zeigen konnten, war hart. Und jetzt die Songs, den Text, die Choreografie, das Laufen auf hohen Schuhen wieder in den Körper zu kriegen, wird ziemlich herausfordernd (lacht).

 

Worauf freust du dich besonders?

 

Mohamed Achour: Am meisten darauf, mit einer tollen Band auf der Bühne zu stehen. Das löst viele Erinnerungen an meine Jugend aus. Wie in Wicked Little Town, dem Song aus dem Musical, habe ich damals geträumt, meiner Heimatstadt zu entkommen, auf Tour zu gehen und etwas Neues zu erleben. Jetzt hier in Hannover auf einer großen Bühne ein Konzert zu spielen macht Riesenspaß. Überhaupt spielen an diesem Abend ungelebte Träume eine wichtige Rolle, denn die begleiten einen manchmal länger als die verwirklichten.

 

Die Songs des Musicals verbinden Pop, Rock, aber auch Country, Punk und Glamrock miteinander. Du hast früher selbst Musik gemacht hier in Hannover. Was war das?

 

Mohamed Achour: Angefangen habe ich mit Hardcoremusik, später habe ich auch gerappt. Die Songs, die Hedwig singt, sind ganz anders und zugleich versetzt mich das Singen in andere Dimensionen. Es ist unbeschreiblich, endlich wieder exzessiv und emotional werden zu können.

 

Hedwig and the Angry Inch
Foto: Kerstin Schomburg
 

 

Mit wem stehst du denn da auf der Bühne?

 

Mohamed Achour: Vorne stehen Katherina Sattler als Sidekick Yitzhak und ich, hinter uns hat der Musiker Peter Thiessen eine tolle Truppe zusammengestellt. Peter war Musiker bei Blumenfeld, seine eigene Band heißt Kante. Wie ich in den 90ern in unserer Metaldisco am Steintor zum Kante-Song Die Summe der einzelnen Teile abgegangen bin, weiß ich noch genau. Dass ich mit ihm zusammenarbeiten darf, ist ein Geschenk und irgendwie auch komisch. Als würde man jemanden treffen, mit dem man sehr viel Zeit im Leben verbracht hat, aber derjenige weiß nichts davon. Neben Peter gibt es noch Peta Devlin, Micha Fromm und Michael Mühlhaus, der auch bei Blumfeld war. Alle gemeinsam bringen so viel Wissen zur Musik in Hedwig and The Angry Inch mit und auch zur Geschichte dieser Musik. Das finde ich wahnsinnig bereichernd und authentisch für den Abend.

 

Während unserer Proben vergangenen Herbst waren die Straßen wie leer gefegt, die tollen hannoverschen Clubs geschlossen, und ihr habt für uns kleinen Kreis Musik gemacht. Das empfand ich als Riesenglück. Da merkt man, wie viel Lebensqualität uns die Pandemie genommen hat.

 

Mohamed Achour: Sich zu treffen und durch Musik in einen Flow zu kommen, ist extrem wichtig. Du spürst sofort, wenn es stimmt. Und Musik berührt tiefere Schichten im Menschen, als Sprache das kann.

 

Die Bühnenshow von Hedwig bietet unzählige Kostüme, leuchtendes Make-up und bezauberndes Licht. Wie verbinden sich die Kunstfigur Hedwig und der Bühnenglitzer an dem Abend?

 

Mohamed Achour: Da steht dieser Mensch am Mikro, erzählt ungeschönt von all dem Mist, den sie erlebt hat, und changiert dabei zwischen Slapstick, Comedy, Politik und Musik. Sie bewahrt sich auch im größten Scheiß ihre Würde und Stärke. Hedwig gelingt es, aus ihrem Schmerz, den ungelebten Träumen und dem festen Glauben, dass es nach einem Tief immer wieder bergauf geht, Kraft zu schöpfen, indem sie es in Musik verwandelt. Wie uns alle treibt sie die Sehnsucht nach Anerkennung, Liebe und Ganzheit in viele schmerzhafte Situationen, doch um sich davon zu heilen, legt sie alles offen. In ihrer Beziehung zu Yitzhak lernt sie, dass sie nicht das weitergeben muss, was ihr zugefügt wurde. Dadurch wird sie für mich zu einer Metapher auf das Leben.

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