#Interview

Der Wahnwitz und das „Woyzeckhafte“: Am Schauspiel Hannover feiert Woyzeck von Georg Büchner als Livestream Premiere. Wir sprachen mit Schauspieler Sebastian Nakajew über die Figur und den Zustand der Gesellschaft.

 

 

 

Sebastian, hast du eigentlich schon einmal den Woyzeck oder überhaupt in Büchners „Woyzeck“ gespielt? Oder ist das erste Mal?

 

Ja, das ist tatsächlich der erste Woyzeck überhaupt für mich.

 

Als du gehört hast, dass du als Woyzeck besetzt bist, wie hast du da reagiert? Hast du dir gedacht: Jetzt ist es endlich so weit? Ist das ein Stück, mit dem man irgendwie rechnet im Laufe einer Karriere als Schauspieler?

 

Ich habe mich sehr gefreut! Das ist eine Rolle, die man natürlich gerne spielen möchte als Schauspieler. Denn es ist schon eine Traumrolle. Man hat den Wunsch danach, und ich war natürlich glücklich, dass er jetzt in Erfüllung geht.

 

Jetzt, wo du zum ersten Mal in Woyzeck spielst, kommt es dir trotzdem so vor, als würdest du die Texte eigentlich schon kennen, weil sie einfach so eingängig sind? Es gibt ja fast schon einen bestimmten tradierten Stil, den Woyzeck zu spielen. Geht dir das im Kopf herum beim Spielen, oder kannst du das vergessen bei deinem Zugriff auf die Rolle?

 

Ja und Nein … Ich habe grundsätzlich oft das Gefühl, dass ich beim Spielen zu vermeiden versuche, etwas zu reproduzieren, das ich irgendwo aufgeschnappt habe. Tatsächlich habe ich wohl kaum ein anderes Stück bereits so oft gesehen wie Woyzeck, aber irgendwie sind diese Seherfahrungen gerade bei den Proben für mich nicht so präsent, ich konnte also ganz frisch an diese Rolle und die Produktion rangehen. Die Texte aus Woyzeck sind sehr eingängig, man hört sie und vergisst sie nicht so einfach. Es gibt natürlich auch eine wahnsinnige Rezeptionsgeschichte dieses Stoffes und ein Prestige in dieser Rolle, so viele bekannte Schauspieler haben in ihrer Karriere den Woyzeck
gespielt, im Theater wie im Film.

 

Du hast dich also vielmehr auf das Konzept von Lilja Rupprecht in dieser Inszenierung einlassen können. Wie würdest du denn den Zugang zum Stoff beschreiben, den ihr gewählt habt? Es ist nicht unbedingt ein rein psychologischer Zugriff, den ihr auf die Figuren habt, oder?

 

Das Stück ist mehr als ein psychologischer Abriss. Es gibt ja auch viele verschiedene Ebenen, die ein flirrendes Ganzes bilden in der Ästhetik der Bühne zum Beispiel, die sehr konkret ist auf eine Weise in ihrer Behauptung, und andererseits lässt sich so viel hineininterpretieren. So verhält es sich auch mit der Ebene des Videos oder der Musik. Bestenfalls entsteht ein atmosphärisches Gesamtbild in jeder Szene, aber jedes Element erzählt auch etwas, allein für sich betrachtet.

 

Woyzeck
Foto: Kerstin Schomburg
 

 

Wie fühlst du dich in der Rolle des Woyzeck?

 

Ich fühle mich eigentlich wohl! Wenn man sich von der historischen Tradierung und der Rollenspychologie entfernt, macht sich etwas Neues auf. Beispielsweise die Frage nach der Täterschaft, oder Woyzeck als Opfer, das von den Menschen um ihn herum nur ausgenutzt wird. Man kann das Stück zwar eins zu eins so lesen, aber das ist nicht unser Versuch, in dem wir gerade stecken.

 

Die Frage nach der Täterschaft Woyzecks und die Schuldfrage scheinen sich in dieser Inszenierung gar nicht einfach zu beantworten, weil sie nicht explizit gestellt werden. Auch nicht die Frage nach dem Wahnsinn Woyzecks. Ihr scheint euch nicht einfach an Woyzecks Geisteszustand abzuarbeiten.

 

Ich glaube, wir interessieren uns mehr für den Wahnsinn, der in der Gesellschaft steckt und nicht in Woyzeck. Lilja und wir alle suchen schon auch das Wahnwitzige und das „Woyzeckhafte“, wenn man das so sagen kann, aber eben auch in den anderen Figuren. Die Frage nach Schuld oder die Gegenüberstellung von Opfer und Täter, das ist mehr eine grundsätzliche Suche.

 

Ich habe auch eher das Gefühl, dass Woyzeck und die Bilder, die er sieht, also das, was man gemeinhin als seinen Wahnsinn bezeichnet, in eurem Zugang sehr ernst genommen werden. Man denkt sich dann, so dissoziativ und wahnsinnig ist das eigentlich gar nicht, was uns diese Figur erzählt, sondern das sind sehr nachvollziehbare, stimmige und präzise Bilder, wenn man sich darauf einlässt. Ich finde es schön, dass sich mir die Frage „Wahnsinnig oder nicht?“ gar nicht stellt beim Schauen.

 

In unserem Alltagsgebrauch benutzen wir den Ausdruck „Wahnsinn!“ ja auch, wenn etwas ganz erstaunlich oder unglaublich toll ist, und ich glaube das ist etwas, das auch im Stück verhandelt wird, die doppelte Natur dieses Begriffs.

 

Hast du ein bestimmtes Gefühl gegenüber Büchners Sprache? Es gibt ja immer wieder Stücke, die einem sprachlich zugänglicher sind als andere, ohne dass das dann zeitgenössische oder alltägliche Sprache sein muss. Wie geht es dir da bei Woyzeck?

 

Ich mag die Sprache sehr! Ich mag Büchners Sprache grundsätzlich. Sie ist sehr plastisch und auch gestisch. Seine Sprache ist so atmosphärisch und beschreibt sehr spezifische Bilder. Da ist auch eine Härte in der Sprache. Es ist einerseits klar nachvollziehbar, aber eben nicht naturalistisch. Seine sprachlichen Bilder sind unglaublich schön.

 

Woyzeck
Foto: Kerstin Schomburg
 

 

Gibt es ein Motiv oder eine Figur, die dir besonders am Herzen liegt in diesem Stück?

 

In erster Linie wäre das die Figur des Woyzeck selbst. Ich mag aber auch bestimmte sprachliche Bilder im Text einfach sehr gerne, wie wir eben schon festgestellt haben, die machen oft so etwas wie eine zweite oder dritte Realität auf. Das findet sich auch in allen Figuren wieder in irgendeiner Form. Auch die Figur der Großmutter, die die Geschichte von dem Kind erzählt, das ganz allein ist auf der Welt, ist sehr berührend.

 

Nun ist eine digitale Premiere geplant, wie geht es dir denn mit dieser Form?

 

Es ist für mich kein Ersatz für das analoge Theater, aber es ist im Moment die Alternative, die wir haben. Ich finde es auch super, dass das so neu und dynamisch gedacht wird und man nicht einfach nur eine Kamera auf einem Stativ hat, die das Ganze abfilmt. Es ist wie eine eigene Kunstform. Man muss es irgendwie filmisch denken und dennoch ist es Theater. Ich bin gespannt wie das wird in dieser hybriden Form.

 

Mir sind die Abstände gar nicht mehr so aufgefallen, muss ich sagen, wenn ich euch beim Proben zusehe, die Distanz zwischen euch scheint irgendwie zu dem ganzen Konzept vom Raum und eurer Dynamik zu passen.

 

Ich finde auch, dass das für unser Konzept gar kein Nachteil ist, sondern es Sinn zu machen scheint, wie wir uns im Bühnenraum verteilen. Natürlich wäre es schön, Nähe darstellen zu können etwa zwischen Marie und Woyzeck, aber ich finde, wir haben da eine sehr gute formale Sprache gefunden.

 

Interview: Melanie Hirner

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