Grußwort zur Spielzeit 2022/23

 

 

Liebes Publikum!

 

Hamlets Erschrecken vor der Welt ist elementar. Seine Gefühlswirren, Gewissensfragen, Handlungsschwächen sind unverkennbar. Shakespeare untersucht mit seinem Stück Macht und Moral, er thematisiert Gewalt und Freiheit, erzählt von der Schwäche und der Gier des Menschen – und bei all dem immer auch von Liebe. Es sind die Un-Möglichkeiten des Individuums, die er aufzeigt, und es ist das haltlose Durcheinander mitsamt aller Verlorenheit und Verzweiflung unserer Welt, das er beschreibt. Hamlet wechselt das Gesicht mit jeder Epoche, in der seine Tragödie aufgeführt wird. Jetzt, da wir Krieg haben in Europa, schiebt sich die politische Dimension nach vorne.

 

Das Theater erzählt seit jeher von Tyrannen und deren Gräueltaten. Es zeigt und verurteilt Gewalt und das Leid der Opfer. Es steht auf der Seite der Schwachen. Bis heute ist das so. Fast fühlt es sich an, als hätten alle Reformen, Revolutionen und auch die von uns gelobte Aufklärung nichts bewirkt. Denn Nationalismen, Rassismen und zunehmende Ungleichheit, aber auch eine fatale Ignoranz gegenüber drängenden Umweltfragen kulminieren weltweit. Hinzu kommt ein harter, unversöhnlicher Ton, der überhandnimmt in der Gesellschaft und von tieferliegenden Problemen zeugt.

 

Was tun? Agonie oder Verzweiflung sind nicht hilfreich, Polemik und Zorn noch weniger. Auch nicht im Theater. Deshalb legt es ja unermüdlich den Finger in die Wunde und zeigt Menschen in ihrer Verführbarkeit zur Macht und im Widerstand dagegen – in der Hoffnung, dass die Erkenntnis der Sinnlosigkeit von Gewalt uns eint, dass wir Energie ziehen aus dieser Erkenntnis und etwas davon in der Welt verbreiten.

 

Denn die Fantasie und das Spiel können der Realität entgegnen, sie widerlegen und verwandeln, jenseits von Wahrheit oder Lüge. Fantasie und Spiel sind Kräfte, die uns wertvolle vitale Erfahrungen schenken durch Momente von Intensität und Interaktion. Die Künstler:innen sind Fantast:innen und Spielende einerseits, Verrückte und Unruhestifter:innen andererseits.

 

Auf dem Theater können wir für wahr halten, dass alles falsch ist, können uns die Luft und die Lust verschaffen, noch einmal anders anzusetzen: Wahr und Falsch hinter uns lassen und ein Gebilde jenseits der Ordnung entdecken. Dass der Mensch in seiner Ganzheit nicht verstehbar ist, man ihn aber doch lieben kann, daraus spricht eine Hoffnung für die Zukunft.

 

In der nächsten Spielzeit bevölkern unterschiedlichste Figuren unser Theater: die Ärztin, die in ihrer Moral befragt wird; Olivia Oil, die moderne Paarbeziehungen reflektiert; Dotty, die noch einmal die Bretter der Welt betritt; Mio, der das Land vom Bösen befreit; Peer Gynt, der ewige Lügner – und eben Hamlet, der mit seinem Verhältnis zur Gewalt hadert. Im Zentrum der Spielzeit steht der Mensch in seiner Komplexität, Schönheit, in seiner Fähigkeit zu lernen, zu fühlen, zu handeln, zu lachen, zu kämpfen, zu lieben. Jede dieser Handlungen ist politisch. Jede Begegnung zwischen Menschen ist von Bedeutung für die Welt.

 

Wenn das Theater den Abgrund erforscht, der die Menschen trennt, dann laut Alain Badiou deshalb, um die zerbrechliche Brücke zu bilden, die die Liebe zwischen zwei Einsamkeiten spannt. Das Theater ist für den französischen Philosophen die Kreuzung zwischen der Liebe und der Politik. Ein schöner Gedanke, der gerade in Zeiten wie diesen Sinn ergibt.

 

Zuhören, miteinander sprechen und mitfühlen sind Handlungen, die konträr zur Gewalt stehen. Sie sind Voraussetzung einer demokratischen pluralen Gesellschaft. Wir üben sie im Theater, gemeinsam mit Ihnen. Wir üben, Differenz auszuhalten und hoffentlich auch, uns zu verbünden: gegen ein vereinheitlichendes, totalitäres Menschenbild, gegen Nationalismus, gegen Krieg.

 

Wir haben ganz unterschiedliche Menschen aus Hannover und Region gebeten, uns eine Antwort darauf zu geben, an was sie glauben. An welche Welt, welche Kultur, welche Gesellschaft, welchen Gott? Was können wir der Welt geben und was sie uns? Der Reichtum an Antworten macht Freude. Wir danken Ihnen allen für Ihre Anwesenheit, Beiträge, Empathie, und hoffen auf eine friedlichere Zukunft!

 

Ihre Sonja Anders und Team

 

Alle werden erwachsen, weil sie dann groß sind. Weil man alles darf. Aber man muss auch immer.

Henrike, Schülerin 1. Klasse

 

Ich glaube an die Liebe. Sie ist es, wonach wir uns sehnen, sie nährt unseren Geist und Körper. Aus Liebe verbinden wir uns mit anderen Menschen. Es überträgt sich, wenn Liebe in den Dingen steckt, ob in der Kunst oder in einem Laib Brot.

Denise M’Baye, Schauspielerin

 

Viele Menschen begreifen erst angesichts Gewalt autokratischer Diktaturen den Wert der Demokratie für ihre Lebenswelt, die jedoch durch rechtsradikale Parteien bedroht ist. Gleichwohl bin ich optimistisch, dass die demokratischen Staats- und Lebensformen am Ende gestärkt erhalten bleiben. Demokratie ist täglich erfahrbarer Ausdruck menschlicher Existenz.

Oskar Negt, Sozialphilosoph

 

Im Talmud steht geschrieben: „Der einzige Beweis für das Können ist das Tun!“ Und es heißt weiter: „Rettest du einen Menschen, rettest du die ganze Welt!“ Ich hoffe daher auf gegenseitige Wertschätzung und aktive Unterstützung, denn nur so können wir diese Welt zu einer gerechteren machen. Und diese Hoffnung ist – trotz Widrigkeiten – mein Antrieb in all meinem Wirken.

Rebecca Seidler, Liberale Jüdische Gemeinde

 

Es kommt darauf an, im Kontakt zu sein, ins Gespräch zu kommen und im Gespräch zu bleiben. Wir alle, Kinder wie Erwachsene, brauchen die Gesellschaft anderer Menschen, um uns lebendig zu fühlen.

Friederike Schumann, Lehrerin

 

Wir leben auf einem wunderschönen Planeten mit vielen unterschiedlichen Kulturen. Ich wünsche mir mehr Fokus auf das eigene Innere, statt uns ständig mit unserem äußeren Erscheinungsbild zu beschäftigen. Jeder sollte sich selbst in Ordnung bringen und freudig und friedlich sein, statt andere Menschen ändern zu wollen.

Akash Nair, Yogalehrer

 

Das individuelle Ich erwächst aus einem Wir. Dieser Prozess bedarf beständiger  gemeinsamer Reflexion. Erst sie ermöglicht die notwendige Zivilisierung menschlicher Aggression und bewirkt eine beziehungsfähige Selbstbestimmtheit. Beides ist die Voraussetzung für verantwortungsfähige Beteiligung an demokratischen Prozessen.

Christine Morgenroth, Sozialpsychologin

 

Die Welt ist nicht nur voller hilfsbedürftiger Menschen, sie ist auch voller „helfensbedürftiger“ Menschen. Daran – und dass es jedem und jeder Einzelnen möglich ist, „Humanität in die Welt zu bringen“, und sei es durch ein Lächeln – glauben meine wunderbare Frau und ich.

Gertrud und Walter Grode, Rentner

 

Ich glaube an Pluralität, individuelle und gesellschaftliche. Niemandes Identität ist klar und statisch. Uneindeutigkeit und subversive Vielstimmigkeit müssen wir sicht- und vor allem spürbar machen, jenseits gefälliger Buzzwords. Ich möchte durchlässig, anrührbar und selbstironisch bleiben, wo es möglich ist, und harte, klare Kante zeigen, wo es Werte wie Respekt und Solidarität zu verteidigen gilt.

Corinna Weiler, Andersraum e. V.

 

Ich glaube an ein stärkeres Miteinander und dass jeder Mensch sich in seiner  Einzigartigkeit begreift und sich entfaltet.

Katharina Meyer, Gastronomin

 

Für mich steht immer der Mensch im Mittelpunkt, in jeder Inszenierung. Regt an zum Nachdenken. Lerne ich daraus? Wie hätte ich mich verhalten?

Angelika Nauck, Gesellschaft der Freunde des hannoverschen Schauspielhauses e. V.

 

Ich glaube an die Kraft der Vielfalt. Vielfalt ist ein Reichtum, und ich hoffe, dass wir diesen eines Tages noch viel mehr schätzen lernen als wir es bereits tun. Sie ist nicht nur eine Quelle, aus der wir schöpfen, sondern auch etwas, worauf wir stolz sein können. Unterschiedlichste Perspektiven bringen die besten Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit hervor.

Tchadarou Abdoul, politischer Referent

 

Der Glaube daran, dass alles, was mir widerfährt, einen Grund hat, um mich in meiner Person zu stärken, mich zum Beispiel mit Ängsten auseinanderzusetzen oder neue Fähigkeiten und Charaktereigenschaften zu entwickeln.

Jamie Könnicke, Studentin

 

Im Alltag finde ich es wichtig, Zeit zu haben und Zeit zu geben. Zeit, die Menschen, die mir begegnen, mit Aufmerksamkeit wahrzunehmen und Raum zu lassen für Unerwartetes.

Tanja Kleine, Souffleuse

 

Ich glaube an meine Familie und an meine Eltern. Weil die mir immer helfen. Außer meine Schwester. Die hilft mir nie, auch wenn ich sie frage.

Tom, Schüler 1. Klasse

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