Interview
Das 6. Sinfoniekonzert: Zwischen Welten ist Teil der Reihe more than music und erweitert die Grenzen des normalen Konzertes durch performative Videokunst. Dafür arbeitet die Komponistin Hannah Kendall mit der Videokünstlerin Akhila Krishnan zusammen, die Kendalls neues Werk O Flower of Fire ausgestaltet. Das besondere Kompositionsprojekt erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung sowie der Stiftung Niedersächsisches Staatsorchester Hannover. Im Vorfeld des Konzertes kamen Komponistin Hannah Kendall und Videokünstlerin Akhila Krishnan mit Konzertdramaturgin Birgit Spörl ins Gespräch.
Haben Sie beide zuvor schon zusammengearbeitet?
Hannah Kendall: Ja, wir haben bereits im Oktober 2020 am Royal Opera House London für meine Kammeroper The Knife of Dawn zusammengearbeitet. Akhila hat für diese Produktion atemberaubende Videoarbeit gemacht. Ich habe ihre Liebe zum Detail sehr geschätzt, die das Werk zu einer ganz eigenen Kreation erweitert hat. Ich war damals schon sicher, jede Gelegenheit zu nutzen, um wieder mit ihr zusammenzuarbeiten.
Akhila Krishnan: The Knife of Dawn war eine wirklich intensive Arbeitsphase. Als die Aufführung stattfand und ich endlich Zeit hatte, mich zurückzulehnen und es einfach anzuschauen, wurde mir klar, wie bewegend und ungewöhnlich dieses Stück ist. Ich erinnere mich, dass ich Hannahs Arbeit für so schön und wichtig hielt, dass ich mich regelrecht in den Gedanken verliebte, wieder mit ihr zusammenzuarbeiten.
Sie haben also ein perfektes erstes gemeinsames Erlebnis gehabt und kommen bereits als erfahrenes Team an unser Opernhaus. Wie würden Sie jeweils Ihren Beruf genau beschreiben?
Hannah Kendall: Ich bin hauptsächlich Komponistin, aber auch Wissenschaftlerin, deshalb habe ich gerade eine Doktorarbeit geschrieben. Für Komponist:innen ist es ein besonderer Punkt, darauf zu achten, wie ihre Werke auch wissenschaftlich wahrgenommen werden. Ich beobachte also gerne auch andere zeitgenössische Komponist:innen und denke, dass in diesem Feld interessante dokumentarische und wissenschaftliche Arbeiten entstehen könnten.
Akhila Krishnan: Mein Beruf nennt sich Videodesign oder Projektionsdesign. Das klingt aber sehr technisch. Was ich eigentlich kreieren möchte, sind Lebenserfahrungen. Ich wirke im Schauspiel, Oper, Tanztheater, ich mache auch Videomapping und arbeite mit Virtual Reality, Augmented Reality und all diesen Technologien. Aber das Wichtigste ist für mich, mit dem bewegten Bild ein Erlebnis zu erschaffen.
Was ist der Kern, der Charakter und das Wesen Ihrer jeweiligen Kunst?
Hannah Kendall: Ich möchte immer explorativ sein und Möglichkeiten finden, mich zu verändern. Ich versuche auch immer, Klänge zu „kreolisieren“, als eine Art ethnischer Klangwelt zwischen „Afro“ und „Euro“. Dabei sehe ich mich als Entdeckerin. Ich glaube, dass es im Orchester noch Kapazitäten vieler Klänge gibt, die noch nicht erforscht wurden. In O Flower of Fire zum Beispiel gibt es 15 Spieluhren, die alle in unterschiedlichen Zeitfenstern spielen und die Bühnensituation in 15 verschiedenen Zeitzonen einteilen. So verändert sich das Klangerlebnis.
Akhila Krishnan: Meine große Neugier waren schon immer gewisse Verschiebungen. Meine Arbeit ist zwar digital, aber ich mag Sinnlichkeit. Deshalb versuche ich ständig, das digitale Medium auszubauen. So arbeiten auch Hannah und ich zusammen: Wir hören, wie sich die Musik verhält und wie wir in sie visuelle Elemente einbetten können. Dadurch verschiebt sich aber sowohl das musikalische, als auch das visuelle Erlebnis, denn wird die eine Kunst mit der anderen verflochten, verändern sie sich gegenseitig. Das gilt es immer wieder neu zu entdecken – mir gefällt darum Hannahs Wort „explorativ“ sehr gut.
Sie beide sind durch das Thema Migration verbunden, da Sie andere kulturelle Wurzeln haben als die Länder, in denen Sie leben. Was bedeutet das für Ihr tägliches Leben und was bedeutet das für Ihre Kunst?
Akhila Krishnan: Ich komme aus Indien und lebe in London. Das Leben und Arbeiten in einer Kultur, die nicht die eigene ist, ist sowohl einfach als auch schwierig. Das Einfache daran: Es ist leicht, sich inspirieren zu lassen, weil man die Dinge von außen und aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Das Schwierige ist: Um als Künstler:in mit Migrationshintergrund erfolgreich zu sein, muss man sehr stark, kompromisslos und bereit zu wirklich harter Arbeit sein. Es hat 12 Jahre gedauert, bis ich an diesem Punkt angelangt bin, an dem ich sagen kann: Ich habe das Glück, mir meine Arbeit und jedes Projekt und jede:n künstlerische:n Partner:in aussuchen zu können. Ein weiterer Aspekt ist die Sprache. Nicht nur im wörtlichen Sinne, sondern man muss als Einwanderin eine innere Sprache entwickeln, um die eigene mitgebrachte Kultur mit sich zu führen und sich aber gleichzeitig in der Kultur des fremden Raumes zurechtzufinden. Man übersetzt also täglich für sich selbst, was es bedeutet, hier zu sein. Das kann man aber genauso für die Kunst nutzen.
Hannah Kendall: Das ist richtig. Ich erinnere mich, dass Akhila sofort genau begriffen hat, was ich mit O Flower of Fire erreichen wollte. Normalerweise erwarte ich das gar nicht, denn wenn Menschen zu Kunst- oder Musikaufführungen kommen, bringen sie ihre eigenen Persönlichkeiten und Erfahrungen mit und werden daher auch immer ihre eigenen Interpretationen entwickeln. Aber gleichzeitig ist es so erfrischend, jemanden zu treffen, der alles auf Anhieb versteht – und ich denke, das kommt auch durch die Migrationserfahrungen, die wir teilen. Meine Familie kommt aus Guyana, war aber aufgrund des Kolonialismus schon immer britisch. Deshalb interessiert mich diese Zwischenwelt: Außenseiter zu sein aber gleichzeitig dazuzugehören. Ich selbst lebe als Britin momentan in New York. Es ist nicht angenehm, sich im Unbekannten zurechtzufinden. Aber aus einem solchen Unbehagen können die erstaunlichsten und unglaublichsten Dinge entstehen.
Hannah, was ist die Hauptaussage von O Flower of Fire, was möchten Sie dem Publikum mitteilen?
Hannah Kendall: In dem Stück geht es nicht „um“ etwas. Es ist ein Zusammenfluss mehrerer Dinge, die schwer zu bündeln sind. Meine Inspiration lag bei Martin Carter: Er war ein guyanischer Dichter und Aktivist. „O Flower of Fire“ ist eine Zeile aus seinem Gedicht Voices und ich fühlte mich dazu spirituell hingezogen, weil er in diesem Gedicht mehrere Schöpfungsgeschichten untersucht: Von den christlichen bis zu den alten indigenen Schöpfungsgeschichten Guyanas. Ich möchte aber nicht behaupten, dies sei auch die Hauptaussage des Stückes. Ich möchte nicht bestimmen, welche Dinge die Zuhörenden mitnehmen, denn wir alle haben ein sehr unterschiedliches Verhältnis zu Spiritualität. Ich hoffe einfach, dass es für die meisten Menschen ein emotionales und vielleicht meditatives Hörerlebnis wird.
Akhila, wie kann man eine nicht haptische Kunst wie Musik in etwas Sichtbares verwandeln?
Akhila Krishnan: Wenn man visuell mit Musik arbeitet, gibt es zwei Ansätze: Man kann jede einzelne Note detailgenau abbilden oder lockerer arbeiten. Ich habe mich bei O Flower of Fire für letzteres entschieden, weil das Musikstück selbst schon so erstaunlich ist. Ich wollte mich ursprünglich schon ganz frühzeitig darauf vorbereiten, aber Hannah wollte mir vorab keine Aufnahme schicken und ließ mich warten, bis ich das Stück das erste Mal live hören konnte. Und sie hatte Recht: Wenn Sie es zum ersten Mal hören, muss es live sein! Für mich fühlt sich das ganze Stück so an, als würde sich jemand eine Welt kreieren. Diese Kreation habe ich auf die Bühnensituation der Hannoverschen Videoaufführung übertragen: Das Orchester wird von es umgebenden bewegten Bildern gehalten. Diese bilden aber nichts Greifbares ab. Etwas ist im Fokus, aber es entgleitet immer wieder. Das klingt abstrakt, erfüllt aber meine Absicht, die Musik visuell zu ergänzen und nicht zu übermalen. Denn dieses Stück ist einfach erstaunlich. Es hat in mir so viele Gefühle geweckt – es ist viel mehr als nur Musik.