Du hast gleich zu Beginn der Proben gesagt, dass dir die Idee, ein Tschechow Stück mit nur einem Schauspieler zu machen, plausibel vorkam. Wieso?
Ich hab ja schon einige Tschechow-Abende gespielt und irgendwann kennt mansich in so einer Inszenierung sehr gut aus und weiß, wie die Kolleg*innen das spielen. Und da verstehe ich die Idee, sich alleine hinzustellen und zu sagen, ich zeig euch jetzt mal, wie die das jeweils machen. Die spricht immer so, der sitzt so da usw. Ich glaube außerdem, dass Tschechow in seinen Stücken über die verschiedenen Figuren Ideen und Lebensphilosphien verhandelt, die er wahrscheinlich alle teilt. Zumindest geht es mir so. Und dass das dann in einem Menschen auf der Bühne zusammenkommt, fühlt sich richtig an.
Du meinst, dass man auch sagen könnte, es sind vielleicht auch einfach acht verschiedene Varianten eines Menschen?
Ja, vielleicht auch manchmal nur Überlegungen: Wie könnte man noch auf die Situation blicken?
Trotzdem sind die Figuren ja alle da. Also selbst wenn du wechselst, bleiben die anderen Figuren. Und sie interagieren miteinander.
Auf jeden Fall. Es ist am Ende kein Abend über multiple Persönlichkeiten. Deswegen ist auch immer wichtig, wo die jeweils im Raum sind, damit man die Interaktion sieht.
Und wir sehen einen Schauspieler, der unsall diese Figuren zeigt. Ein bisschen so, wie du es vorhin bezüglich der Schauspielkolleg*innen meintest.
Genau. Ich muss auch alle Figuren glaubhaft machen. Aber es ist nicht geschlossen und fertig, sondern fragil. Ich jongliere ja auch nicht mit acht Kostümen, Perücken und Schnauzbärten. Und das nicht nur, weil das logistisch unmöglich wäre. Es bleibt offen. Man hat immer die Brüche und damit ist es auch für mich ganz anders als vieles, was ich sonst spiele, gerade wenn es um Tschechow geht. Und es ist auch ein Risiko.
Wie meinst du das?
Ich musste an das Intendanzmotto denken. Liebe will riskiert werden. Vielleicht ist dieser Abend eine Liebeserklärung ans Theater. Weil er eben so offen ist.
Du meinst, weil du dich nicht hinter einem opulenten Bühnenbild oder einer Figur verstecken kannst? Weil du immer sichtbar bist als Spieler?
Ja. Und auch, weil niemand anderes da ist. Es gibt nur das Publikum, dem man sich in diesem Moment öffnen muss. Mir kommt das absolut pur vor. Und das Risiko ist, dass man sich da öffnet und zurückgewiesen wird. So wie Sonia zum Beispiel dem Arzt ihre Liebe gesteht. Sie muss es aussprechen, um eine Reaktion zu bekommen, aber macht sich dadurch natürlich verletzlich.
Das ist ein total schöner Gedanke. Ich meine du musst ja auch darauf setzen, dass wir das im Publikum mitgehen. Dass wir nicht sagen, was macht der komische Mann da, der spielt Küssen mit sich selber, wie albern, sondern, dass in unserer Fantasie all das, was du uns zeigst, entsteht. Dass
das Theater funktioniert und es für uns alle wahr wird.
Ja, und das ist in der Form auch für mich etwas sehr Neues. Es ist ein Wagnis. Aber es macht auch wirklich viel Spaß.
Schauspiel hat ja oft ganz viel mit Impulsen zu tun. Was kommt von den Kolleg*innen bei mir an, wie nehme ich das auf und was gebe ich zurück? Inwiefern kannst du dir bei dieser Form eigentlich selbst Impulse geben? Überraschst du dich manchmal selbst? Es sind ja trotz Allem Dialoge, die du auf der Bühne spielst.
Vielleicht ist es ein bisschen, wie allein Doppelpässe spielen. Man muss ganz schön viel hin und her flitzen. Mir dabei selbst Impulse zu geben, die mich im nächsten Moment als Gegenüber überraschen, ist mein Ziel. Aber weil ich auch im Kopf der Mitspielerin mit drin bin, weiß ich doch meist genau, wohin der Ball kommt. Oder besser kommen soll… Mich überraschen zu lassen, fällt mir im Spiel mit Kolleg*Innen natürlich schon leichter.
Es ist auf jeden Fall großer Sport, den du da treibst. Aber es ist natürlich einleuchtend, dass du den Wechsel in die nächst Figur immer schon ein bisschen mitdenken musst.
Ja, es ist wichtig, dass ich immer den richtigen Absprung finde. Den Anlass für die nächste Figur, jetzt etwas zu sagen. Das habe ich beim Proben gemerkt. Wenn ich den Moment verpasse, in die nächste Figur zu kommen, dann bleib ich hängen. Dann ist es ganz schwer, wieder rein zu kommen. Das ist dann wie Pass gespielt aber nicht gleich losgerannt. Dann ist der Ball erstmal weg.
Ich hatte gerade – um einen anderen Sport mit reinzubringen – eine Eisbahn im Kopf, auf der man mit einem Schlitten unterwegs ist. Du kennst die Strecke und die Kurven vorher, musst aber im richtigen Moment genau richtig einlenken, sonst fliegst du aus der Bahn.
Ja, das trifft es vielleicht auch! Zum Thema Impulse nochmal: Was auf jeden Fall geht, ist, dass eine Figur auf der Bühne eine Stimmung erzeugt und die bleibt dann im Raum hängen und die nächste Figur kann darauf reagieren. Das ist zum Beispiel so, wenn Alexander kommt, um seinen Vorschlag zu unterbreiten, zur großen Rede ansetzt und alle anderen haben aber eine total schlechte Stimmung.
Es ist eh so irre, dass das funktioniert. Also, dass wir sie alle da sitzen sehen. Wir hatten ja auch so Momente auf der Probe, wo wir diskutiert haben, da kannst du nicht stehen als Wanja, weil da steht ja schon Helena.
Ja, oder ich denke, ich nehme irgendwem den Fokus weg, weil ich davorstehe.
Und trotzdem können wir auch alle etwas anderes sehen und sind frei darin, die Lücken zu füllen, die du lässt. Aber apropos Fokus: Dadurch, dass wir immer entscheiden müssen, wenn wir zeigen, setzen wir ja auch immer einen großen Fokus.
Absolut, auch deshalb kommt mir das so pur vor. Weil man seine Aufmerksamkeit nicht kurz auf jemanden richten kann, der im Hintergrund Gläser putzt oder so.
Was waren Kriterien dafür, wann du welche Figur zeigst?
Erstmal gibt das der Text vor. Wir waren da am Anfang ziemlich genau: Wir zeigen immer die Figur, die spricht, machen jeden Wechsel sehr deutlich. Gegen Ende der Proben habe ich dann beim Spielen eines Durchlaufs gemerkt, ich muss gar nicht so genau sein. Und von außen hattet ihr in der Probe das gleiche Gefühl.
Die Stützräder können weg, hat Katharina – die Regisseurin – gesagt. Das fand ich einen guten Satz. Und es stimmt: Du bist so fein in deinem Spiel, es reicht oft eine Nuance und ich versteh schon, was los ist. Der Rest passiert im Kopf.
Fabian Schmidtlein ist seit der neuen Spielzeit 2025/26 Dramaturg am Schauspiel Hannover.
„Wanja“, von Simon Stephens nach Anton Tschechow, inszeniert von Katharina Birch, feiert am 24. September 2025 im Schauspielhaus seine Premiere.