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Was passiert, wenn sich die Menschheit nicht mehr auf gemeinsame Werte einigen kann? Wenn sich Gruppierungen mit gegensätzlichen Überzeugungen in ihrer jeweiligen Blase verschanzen und aus abgeschotteter Position darauf lauern, ihren Gegner endlich zu vernichten? Und wenn diese feindselige Erstarrung das Überleben aller, die Zukunft der ganzen Welt gefährdet? Parsifal, Wagners rätselhafte, mythische Oper um den heiligen Gral, das Symbolgefäß zeitloser gemeinsamer Glaubenswerte, ist eine Befragung menschlichen Zusammenlebens – mit den Mitteln der Kunst.
Parsifal wächst behütet auf, seine Mutter, eine leidvolle Kriegerwitwe, schirmte ihn ab, um ihn bei sich zu halten. Doch der tatendurstige Teenager, dessen ambitionierte Körperkraft sein Wissen und seine Eigenverantwortung bei weitem übersteigen, will die Welt erstürmen und Heldentaten vollbringen – ein „reiner Tor“, wie Wagner ihn nennt. Parsifal begegnet Menschen, Schicksalen, der Natur. Überall stellen sich ihm Aufgaben und verführerische Gelegenheiten in den Weg, doch sowohl durch Tun als auch durch Unterlassen macht er sich selbst schuldig. Er beginnt, Verantwortung für mehr als sich selbst zu fühlen. Die Selbsterkenntnis seiner Mitschuld drückt ihn nieder, die Probleme der Welt wie einzelner Menschen scheinen unlösbar, die Welt steuert auf ihren Untergang zu. Parsifal lernt, sich dem Leid zuzuwenden, es nicht zu negieren, den Leidensdruck seiner Umwelt wahr- und als Lebensaufgabe anzunehmen. Sein Mitgefühl, sein „wissendes Mitleid“ machen ihn für alle zum Hoffnungsträger.
Wagners „Bühnenweihfestspiel“ stellt die philosophische Frage, wie der heilige Gral, die „Erlösung“, für eine Gesellschaft, die die Hoffnung verloren hat, gefunden werden kann. Starre Rituale einerseits und selbstvergessenes Lustprinzip andererseits haben die Welt an den Abgrund geführt. Ein dritter Weg aus der existenziellen Krise ist überlebensnotwendig. Der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson wurde 2018 für seine Inszenierung der Edda in Hannover mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST geehrt. Bühnenbildner Wolfgang Menardi konzipiert für Parsifal assoziative Bilder, die zur Zeitanalyse werden. Die von Natur und Mythos inspirierten Kostümkreationen von Karen Briem und Andri Unarsson sind radikal nachhaltig gedacht und wenden dieses fundamentale Thema der heutigen Zeit auch auf die Theaterproduktion an. Die Leitung dieses Musikdramas mit seinen unzähligen expressiven und oft unaufgelösten Klangmotiven, die für menschliches Dasein stehen, übernimmt GMD Stephan Zilias. Neben den namhaften Solist:innen sind auch Chor, Extrachor und Kinderchor umfassend beteiligt.