„Wie ein Sprung in einen Sturm“
Sopranistin Cristiana Oliveira und Tenor Rodrigo Garull im Interview zur Wiederaufnahme von Giacomo Puccins Tosca
Sie haben das Publikum in der Staatsoper gerade als Desdemona in Verdis Otello begeistert, nun kehren Sie als Tosca zurück.
Cristiana Oliveira: Ich liebe Tosca! Sie ist eine geradezu berauschende Mischung aus Feuer und Zerbrechlichkeit – eine Frau, die ganz durch ihre Emotionen lebt und deren Liebe so hell brennt, dass sie alles um sie herum verzehrt. Nach Desdemonas ätherischer Reinheit und stiller Tragik fühlt sich Tosca an wie ein Sprung in einen Sturm. Mich fasziniert ihre Dualität: Sie ist Diva und Gläubige, fähig zu überirdischer Zärtlichkeit wie zu verzweifelter Gewalttätigkeit. Puccini gibt ihr all die menschlichen Widersprüche – sie ist eifersüchtig, stolz, verletzlich, mutig ... Und ehrlich gesagt: Es macht viel mehr Spaß, den Bariton zu töten, als den traditionellen romantischen Opfertod mit dem Tenor zu sterben!
Für viele Tenöre gehört die Rolle des Mario Cavaradossi zu den Höhepunkten des Repertoires. Was fasziniert Sie an dieser Figur?
Rodrigo Garull: Wie ich die Oper lese, ist Cavaradossi ein Mann, der in sich ruht und in allen Bereichen seines Lebens nach Wahrheit strebt. Er beugt sich weder Kirche noch Staat. Seine einzige Allianz gilt der Schönheit, der Kunst und natürlich Tosca. Darin sucht er eine Form der Erlösung. In diesem Idealismus, in diesem kompromisslosen Glauben an das Echte, liegt für mich eine große Faszination.
Welche besonderen Herausforderungen stellen die Partien des Cavaradossi und der Tosca – gesanglich wie darstellerisch?
Rodrigo Garull: Wenn man das Glück hat, eine Partie über viele Jahre hinweg zu singen, verändern sich die Herausforderungen, technisch wie künstlerisch. Für mich besteht die größte Aufgabe momentan darin, Puccinis große Bögen und Melodien wirklich mit Leben zu füllen und eine eigene Schwingung in die Rolle zu bringen, ohne in die Nachahmung großer Tenöre der Vergangenheit zu geraten. Wenn das Ergebnis dennoch an frühere Größen erinnert, dann vielleicht deshalb, weil Puccinis Musik uns unausweichlich zu ähnlichen emotionalen Zielen führt.
Cristiana Oliveira: Gesanglich verlangt Tosca, dass man sich über Puccinis üppiges Orchester erhebt und trotzdem Intimität und Zärtlichkeit vermittelt. Die Rolle fordert nicht nur Kraft, sondern auch Farbe – die Fähigkeit, vom samtigen Ton der Arie „Vissi d’arte“ zum stählernen Klang der Konfrontation mit Scarpia zu wechseln. Die Tessitura liegt hoch und bleibt konstant, daher braucht man sowohl Ausdauer als auch emotionale Kontrolle. Als Darstellerin besteht die Herausforderung darin, Tosca mehr zu geben als das Klischee der „eifersüchtigen Primadonna“. Sie ist keine Karikatur, sondern eine Frau, die von Kräften in die Enge getrieben wird, die größer sind als sie selbst, und die für Liebe und Würde kämpft. Ich finde Tosca unglaublich komplex und gleichzeitig sehr real! In ihr steckt ein Stück von jeder Frau.
Vasily Barkhatov präsentiert mit seiner Inszenierung eine eigene Sicht auf Puccinis Werk.
Cristiana Oliveira: Barkhatovs Ansatz ist faszinierend, weil er das Wesen von Tosca – ihre Leidenschaft, ihren Glauben, ihr Feuer – vollständig bewahrt, den Kontext aber so verschiebt, dass er verblüffend modern wirkt. Die Geschichte, die wir alle kennen, bleibt erhalten, doch das Verhältnis zwischen Tosca, Mario und Scarpia wird neu beleuchtet: Es geht weniger um den klassischen Kampf zwischen Gut und Böse, sondern vielmehr um Macht, Manipulation und emotionales Überleben in einem neuen Licht. Diese Veränderung macht die Beziehungen beunruhigend intim – und erschreckend aktuell.
Rodrigo Garull: Barkhatov führt Cavaradossi in einen gebrochenen Idealismus. Er lässt ihn an den Rand des Dramas geraten und zwingt ihn durch den narzisstischen Scarpia, der keinerlei Zugang zu Schönheit hat, in die Knie. Doch gerade daraus entsteht Cavaradossis stiller Sieg: Wahrheit und Schönheit behaupten sich gegen die Kälte, die ihn umgibt.
Die Fragen stellte Anne do Paço