Dramaturgin Julia Huebner spricht mit Regisseurin Nicola Hümpel und Bühnenbildner Oliver Proske über Rossinis berühmte Messe, Figaro und orchestrales Unwetter.

 

Mit Nico and the Navigators habt ihr euch ja bereits intensiv mit Rossini beschäftigt: Ihr habt seine Petite Messe solenelle szenisch auf die Bühne gebracht, nun steht ihr vor der Herausforderung der Inszenierung einer der berühmtesten musikalischen Komödien.

 

Nicola Hümpel: Eine Messe an sich ist ein schwerer Stoff und ich habe dann während der Probenarbeit begriffen, dass es auch für Rossini eine wahnsinnige Herausforderung war, der er sich selbst lange Zeit seines Lebens nicht stellen wollte. Als Agnostiker, der er meiner Meinung nach war, hat er am Ende eine großartige Form gefunden, seine eigene musikdramatische Seite sowie seine zwiespältige Haltung zur Kirche zu zeigen, ohne dabei die liturgische Idee zu verraten. In der Arbeit am Barbier lerne ich Rossinis Musik nun in ihrer vollen Vielfalt und in der genauen Zeichnung seiner Figuren kennen.

 

Die Messe ist ganz zum Ende seines Lebens entstanden, als er schon etwas ernster und altersmilder war -  auch wenn er bis zuletzt recht lebensfroh in Saus und Braus gelebt haben soll. Der Barbier ist musikalisch unglaublich vielfältig und komplex. Zudem ist er natürlich auch ein unterhaltendes Stück, eine opera buffa – eine komische Oper. Sie birgt einen Stoff, der dazu geeignet ist, eine Komik zu etablieren, die einem in jedem Moment auch im Halse stecken bleiben kann. Jeder gute Humor speist sich ja durch den Ernst und die Abgründe, die sich dahinter verbergen. Nur so kann ein komödiantischer Stoff funktionieren. Der Barbier bleibt immer auch ein Unterhaltungsstück mit großer Schärfe, dunklen Seiten und verrücktem Humor.

 

Nicola Hümpel
Foto: Oliver Proske

 

Wir haben viel über Figaro, den Barbiere, den Alleskönner und Netzwerker gesprochen- wie siehst du diese berühmteste Figur Rossinis?

 

Oliver Proske: Interessant finde ich, dass der Barbier auch ein Quacksalber sein könnte, weil eben nicht nur Haare geschnitten, sondern auch Cremes benutzt und den Leuten irgendwelche Tinkturen verabreicht werden. Ich sehe da in der aktuellen Gesellschaft eine Spaltung. Auf der einen Seite eine Hinwendung zu esoterischen Themen - da kann man durchaus die Brücke schlagen zum Stück - auf der anderen Seite die Wissenschaft. Die Esoteriker bestehen darauf, dass gewisse Sachen nicht wissenschaftlich oder statistisch bewiesen werden müssen, weil Erfahrungen angeblich mehr zählen (Bsp. Impfung) und auf der anderen Seite verweisen sie wiederum auf die Wissenschaftlichkeit z.B. in Sache Klima. Diesen Widerspruch kann man durchaus auch in dem Stück in der Konfrontation von Figaro und Bartolo wiederfinden. Das ist aber nur eine sehr frei assoziierte, allgemeine Inspiration.

 

Thema Luft und Sturm im Barbier: „Die Verleumdung ist ein Lüftchen, ein kleiner Wind“ singt der intrigante Gesangslehrer Don Basilio und Rossinis stürmisches Orchesterzwischenspiel tobt im Stück …

 

Oliver Proske: Basilios Arie, das musikalische Motiv, das klein beginnt und sich zu einem ausgewachsenen Sturm steigert, haben mich inspiriert, ebenso der große Sturm, den Rossini selbst als „temporale“, als Gewitter bezeichnet hat.

Wir werden mit materiellen und immateriellen Sachen auf der Bühne arbeiten, so wie das Thema das auch schon vorgibt und dazu wird auch die Bewegung von Luft gehören. Kleine Winde und größere Stürme.

 

Oliver Proske

 


 

Nico and the Navigators wurden 1998 von Nicola Hümpel und Oliver Proske am Bauhaus Dessau gegründet. Das Stück Wo Du nicht bist, mit Kompositionen von F. Schubert, markierte 2006 den Einstieg in die Welt des Musiktheaters und der Oper. Es schlossen sich Projekte um G.F. Händel, J.S. Bach, H. Purcell und G.A. Rossini an. Im Jahr 2012 fand die Uraufführung von Mahlermania an der Deutschen Oper Berlin zur Eröffnung der „Tischlerei“ statt. Das nächste Musiktheater-Projekt, Die Befristeten nach Elias Canetti, entstand 2014 zur Münchener Biennale. Im April 2016 inszenierte Nicola Hümpel in Kooperation mit Nico and the Navigators an der Oper Stuttgart den Reigen von Philippe Boesmans.

Danach fand im Februar 2017 die Uraufführung von SILENT SONGS into the wild- ein Staged Concert um die Musik von Schubert – im Palais des Beaux-Arts in Brüssel statt und sorgte auch am Konzerthaus Berlin, am Radialsystem und an der Hamburger Elbphilharmonie für Begeisterung bei Presse und Publikum.

 

Nico and the Navigators waren bisher mit über 220 Gastspielen, in insgesamt mehr als 50 Städten weltweit zu sehen. Sie gastierten u.a. bei den Wiener Festwochen, den Bregenzer Festspielen, den Niedersächsischen Musiktagen, den Händel-Festspielen Halle, dem koreanischen UIMT Festival, der Pariser Opéra-Comique, dem Kunstfest Weimar, der Opéra de Rouen oder dem Grand Théâtre de Luxembourg. Nicola Hümpel und Oliver Proske arbeiten zum ersten Mal mit dem Ensemble der Staatsoper Hannover.

 

Der Barbier von Sevilla

Opera buffa von Gioacchino Rossini

Wiederaufnahme am 02.04.2022

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