Interview mit Lorenzo Da Rio über das Konzert des Damenchores

Sphärisch, schwebend, wie aus der Ferne oder gar einer anderen Welt wirken die Klänge vieler Werke für Damenchor. Der Damenchor der Staatsoper Hannover und Chordirektor Lorenzo Da Rio lassen diese Sphärenklänge am 9. Februar in den hohen, weiten Gewölben der Christuskirche ertönen. Was das Publikum dabei erwartet, erzählt Lorenzo Da Rio im Interview.

Was dürfen wir in diesem Konzert erwarten?

Wir haben ein gemischtes Programm mit verschiedenen Stücken, die sich alle im weitesten Sinne mit Heldinnen und mystischen Frauenfiguren beschäftigen. Stilistisch reichen die Werke von der Romantik mit Johannes Brahms, Clara Schumann und Carl Reinecke, über die Moderne mit Lili Boulanger bis heute mit einigen Stücken, die von zwei Herren unseres Chores extra für dieses Konzert geschrieben wurden und in die Pop- sowie die orientalische Richtung gehen. 

Wie kam es zu der Idee dieses Konzertes nur für den Damenchor der Staatsoper?

Im Vergleich zu den Herren des Chores hat unser Damenchor in dieser Spielzeit drei Produktionen weniger auf der Bühne zu singen. Da haben wir gleich die Chance wahrgenommen, einmal etwas Anderes zu machen, das nichts mit Oper zu tun hat. Seit ich vor sieben Jahren an die Staatsoper gekommen bin, wollte ich eigentlich immer schon gerne Konzertprojekte realisieren, da sich durch die Abwechslung des Repertoires ein Chor musikalisch weiterentwickeln und in gewisser Weise stimmlich sehr fit halten kann. Jetzt machen wir das endlich einmal mit dem Damenchor.

Foto: Dan Hannen

Wo liegt die Besonderheit des reinen Damenchors im Vergleich zum vollen, gemischten Chor?

Es ist für die Damen des Chores eine angenehme und wichtige Erfahrung, wie schön und facettenreich sie als reiner Frauenchor auch alleine klingen können. Während der bisherigen Proben hat sich der Klang unseres Damenchores bereits verändert, weiterentwickelt und sensibilisiert. Das liegt aber auch an dem abwechslungsreichen Programm: Ehrlich gesagt hatte ich zu Beginn befürchtet, dass eineinhalb Stunden reine Damenchormusik selbst für mich als Chordirektor irgendwann langweilig werden könnte – aber nein, das ist es bei weitem nicht! Das Programm ist so heterogen, es gibt ein überraschend großes und wunderschönes Repertoire für Frauenstimmen und es sind alles so unterschiedliche Chorsätze, dass die Zeit einfach nur so verfliegt. Das Besondere am Damenchorklang im Vergleich zum Klang eines Männerchores ist natürlich die Höhe der Stimmlagen, die man mit dem Herrenchor nicht erreichen kann. Das hat Vor- und Nachteile: Durch die hohen Stimmen erreicht man diese geheimnisvollen, schwebenden und sphärischen Klänge. Ein Männerchor dagegen besitzt eine größere stimmliche Spannbreite, damit erreicht man eine größere klangliche Dichte, die dem Damenchor bisweilen fehlt. Aus diesem Grund sind viele Kompositionen für Damenchor zusätzlich mit Instrumenten besetzt – sie kompensieren die fehlende Tiefe, geben ein klangliches Fundament und so erreichen wir am Ende trotzdem einen vollen Klang von der tiefsten Tiefe bis zur höchsten Höhe. 

Wie bereits erwähnt, reicht das Programm von der Romantik bis heute. Kann man die stilistischen Eigenheiten der verschiedenen Epochen auch in dem spezifischen Repertoire für Damenchor erkennen?

Selbstverständlich. Die Werke Johannes Brahms‘, Clara Schumanns und Carl Reineckes tragen ihre typischen hochromantischen Stempel. Carl Reinecke ist für mich ein total unterschätzter Komponist. Man müsste mehr von ihm spielen. Je mehr ich mich mit seiner Musik beschäftige, desto öfter habe ich solche gewissen „Wow“-Momente. Die instrumentale Begleitung von Klavier, Harfe und Hörnern ist so professionell geschrieben, dass alle Instrumente niemals überflüssig sind, sondern sich an jeder Stelle perfekt ergänzen und bereichern. Die Loreley von Clara Schumann ist zwar im Original ein Lied, die zeitgenössische Bearbeitung für dreistimmigen Damenchor wurde aber klug gemacht, mit Unisono-Passagen, die ans Original erinnern und einem eindeutig romantischen Ausdruck. In den moderneren Werken erreichen wir die typischen, reizvollen Dissonanzen zeitgenössischer Chormusik. Selbst bei den Stücken der Herren unseres Chores habe ich, der ich sie ja kenne, das Gefühl, dass sie ihren jeweiligen Stilen treu geblieben sind und etwas sehr Charakteristisches komponiert haben.

Foto: Clemens Heidrich

Inwiefern ist es für einen Opernchor besonders, ein Konzert zu singen?

Wir beschäftigen uns hier ja täglich mit Opernrepertoire. Opernchöre sind in der Regel so geschrieben, dass sie auswendig gesungen werden können, dass dazu agiert und gespielt werden kann. Sie begleiten den Sologesang, müssen über den Orchesterklang tragen. Deshalb ist das Opernchorrepertoire grundsätzlich etwas einfacher gehalten, was Stimmsatz, Stimmführung, die Bequemlichkeit der Stimmlagen usw. angeht – mit Ausnahme übrigens der schwierigen Chorsätze von Giuseppe Verdi oder Richard Wagner. Sinfonische oder A-capella-Chormusik dagegen verlangt eine ganz andere Vokalität. Die hohen Stimmen müssen viel mehr und beweglicher in den hohen Lagen singen. Dadurch wird längeres Proben anstrengender. Die Dynamik muss viel sensibler sein, da ja die Grundlautstärke des Orchesters wegfällt. Und oft verlangen A-capella-Stücke glockenreine Klänge ohne Vibrato – etwas völlig Fremdes für einen Opernchor, der hauptsächlich mit voller Bruststimme singt und deshalb ganz natürlich immer ein volles Vibrato mitbringt. Es ist auch etwas anderes, wenn der Chor „nur“ singen muss, denn er ist es gewohnt, beim Singen auch zu spielen und zu agieren. Insofern ist die Konzertsituation nicht die typische Situation eines Opernchores und man muss umdenken, sich an vielen Stellen zurücknehmen, variabler werden. Allerdings müssen wir ja gleichzeitig auch noch das das restliche Opernrepertoire proben. Die Schwierigkeit ist, die richtige Balance zu finden, wie man alles parallel meistern kann. Aber ich finde das gerade gut, dass man sich mit vielen verschiedenen Stilen und Anforderungen beschäftigt – es ist wie ein Training, um vielseitig und flexibel zu bleiben.

In fernen Sphären

Konzert des Damenchores der Staatsoper Hannover
Freitag, 09.02.2024, 20:00 Uhr, Christuskirche Hannover
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