Der 1664 erbaute Ballhof blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Nun bringt eine durch die Staatstheater Hannover angebrachte Info-Tafel auch die Schattenseiten der Geschichte in Erinnerung.
Anlass ist, dass an der Fassade des angegliederten Spitta-Gebäudes bis heute ein von den Nationalsozialisten angebrachter Ausspruch sowie eine Sig-Rune zu sehen sind. Die Sig-Rune war das Emblem des „Deutschen Jungvolks“, einer Unterorganisation der Hitlerjugend – und gehört heute zur Liste verbotener Zeichen in der Bundesrepublik Deutschland. Ab 1939 wurde der Ballhof als Heim der Hitlerjugend genutzt, im anliegenden Spitta-Haus war bis 1943 ein Heim für den Bund Deutscher Mädel untergebracht.
Nach mehreren Initiativen und Anläufen hatte der Bezirksrat Mitte erst Ende Januar diesen Jahres gefordert, die Symbole an der denkmalgeschützten Fassade zu kommentieren und das Ballhof-Areal historisch einzuordnen. Die Verwaltung der Landeshauptstadt Hannover ist nun mit der Anbringung einer Info-Tafel beauftragt, was aber erfahrungsgemäß Jahre dauern kann.
Die Mitarbeitenden der Niedersächsischen Staatstheater Hannover GmbH, welche den denkmalgeschützten Ballhof als Spielestätte nutzt, stören sich schon seit vielen Jahren daran. „Das ist ein geradezu unerträglicher Zustand und es war längst überfällig, dass hier etwas unternommen wird“, erklärt Schauspiel-Intendantin Sonja Anders. „Theater sind Orte der Demokratie.“
Auch Staatsopern-Intendantin Laura Berman betont die Dringlichkeit dieser Maßnahme: „Wir stehen nicht nur auf der Bühne für Werte der Freiheit und Solidarität. Dass wir tagtäglich in einem Gebäude arbeiten, welches Nazi-Symbole an der Fasse trägt, ist nachvollziehbarer Weise für viele Mitarbeitende nicht akzeptabel.“
Die Info-Tafel der Staatstheater Hannover überbrückt nun die Zeit, bis die Landeshauptstadt Hannover eine geeignete Form der längst überfälligen Aufarbeitung der Ballhof-Geschichte installiert hat.
Für eine lebendige und kritische Erinnerungskultur stehen auch viele künstlerische Projekte und Aktionen der Staatstheater Hannover. Im Foyer des Schauspielhauses erinnert unter dem Titel Say their names seit Januar eine Installation an die Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland. Zuletzt traten die Ensembles der Staatstheater Hannover mit einer gemeinsamen Video-Aktion auf, um an die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau vor einem Jahr zu gedenken.
Der vollständige Text der Info-Tafel:
GESCHICHTE DES BALLHOFS
Der bis 1664 erbaute Ballhof war über die Jahrhunderte hinweg Theater- und Konzertsaal, Gaststätte, Sport- und Veranstaltungsort. In den 1920er Jahren entwickelte er sich inmitten des umliegenden Arbeiterviertels zu einem beliebten Treffpunkt der homosexuellen Szene Hannovers. Ab 1936 fanden umfangreiche Renovierungsarbeiten statt. Der dicht eingebaute Ballhof wurde im Rahmen einer Altstadtsanierung freigestellt, wofür zahlreiche Fachwerkhäuser weichen mussten. Mit neu entstandenem Wohnraum und einem zentralen Aufmarschplatz, dem Ballhofplatz, wollten die Nationalsozialisten das eher linke Arbeiterviertel für sich gewinnen. 1939 wurde der umgebaute Ballhof als Heim der Hitlerjugend eröffnet. In dem anliegenden Spitta-Haus war zudem bis 1943 ein Heim für den Bund Deutscher Mädel untergebracht.
Die bewegte Geschichte der Ballhof-Gebäude ist heute nur noch an wenigen Stellen sichtbar. Der Ende der 1930er Jahre am Fachwerkbalken des Spitta-Hauses angebrachte Spruch „Wir Jungen haben die Aufgabe, neue Wege zu suchen und zu bahnen, und den Mut, sie zu gehen“ wird auf den antisemitischen Schriftsteller Georg Stammler (1872-1948) zurückgeführt, der im Nationalsozialismus als Vordenker der völkischen Jugendbewegung gefeiert wurde. Der Spruch entspringt ganz dem euphorischen Geist der deutschen Jugendbewegung, welche um 1900 eingesetzt hatte. Sie wurde schließlich von der Hitlerjugend und ihren Unterorganisationen vollkommen vereinnahmt und im Sinne einer „Volksgemeinschaft“ auf die rassistischen und kriegerischen Ziele der Nationalsozialisten ausgerichtet. Vor diesem Hintergrund erfahren der Spruch und die „neuen Wege“ der Jugend eine erschütternde Bedeutung.
Ebenfalls aus dieser Zeit stammt die in Stein gemeißelte Sig-Rune auf einem Kapitell an der linken Ecke des Spitta-Hauses. Das gezackte „S“ war ein Emblem des „Deutschen Jungvolks“, einer Unterorganisation der Hitlerjugend. Hier ist die Sig-Rune mit einer Wolfsangel verziert. Beide Symbole gehören heute zur Liste verbotener Zeichen in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Niedersächsische Staatstheater Hannover GmbH, welche die denkmalgeschützten Ballhof-Gebäude als Spielstätte nutzt, möchte mit dieser Info-Tafel ein Zeichen gegen das Vergessen setzen. Nur im Bewusstsein der Schrecken der Vergangenheit können wir heute für eine bessere Gesellschaft eintreten. Ohne Geschichte keine Kunst.