Oscar Olivo

 

Re: Ich schlafe Aber Wecken Sie mich nicht!

 

(Bitte)

 

Lieber Doktor F.,

 

Woher kommt das Unbehagen in mir etwas Falsches zu ma­chen? Es ist ein Blubbern. Es ist eine Hitze unter meiner Haut. Dort wo kein Dampf sein soll. Habe ich es Geerbt?

 

Mit jeder Schritt bewege ich mich weiter weg. Auf der anderen Seite sollte jemand stehen. Aber da steht keiner. Hätte ich das gewusst, wäre ich nicht zu Ihnen gekommen. Es war nur ein Gedanke die ich hatte. Jetzt, hat mich meine Ehrlichkeit hierher verbannt.

 

Sie hätten mir gleich am Tag meines Auftauchens vor drei Wochen eine Pille verschreiben sollen. Damit ich sehen könnte, wie ich den Moment, als wir uns kennenlernten, aus der Zukunft betrachten würde.

 

Bevor ich hierher gekommen bin, prallte ich ins Leben. Ich würde gern das Sie mich verstehen. Wir sehen uns jeden Morgen am Rande meines Bettes. Sie fragen mich Fragen. Fragen von dem ich die richtigen Antworten weiss. Ich sage Nein, wenn Sie mich fragen ob ich mich verletzen will. Ich sage Nein, wenn sie mich Fragen ob ich anderen verletzen will. Sie vertrauen meinen Worten. Aber Sie lassen mich trotzdem nicht frei. Ich versuche, meine Verwirrung zu erklären –

 

Ich habe jemand verloren.

 

Es ist drei Jahre her. Leider könnte ich ihm nicht „Goodbye“ sagen. Ein fehlendes Wort und jetzt ein Damm voller Reue, so fühle ich mich jetzt – das ist was blubbert! Aber das kann nicht der einzige Grund sein. Es müsste was vorher passiert sein.

 

Als Kind habe ich meine Gegen­stände in einer schönen Reihe nebeneinander angeordnet. Ich berührte jede mit meinen Fingern. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Auf diese Weise war ich sicher, dass sich die Gegenstände nicht von selbst bewegen würden. Falls ich eine Falsche Schritt machen würde, dann wäre ich von der mystische Macht, der um mich schwebt, verdammt.

 

Daher soll es nicht verwunder­lich sein dass als ich zu Ihnen kam, ich von sprechenden Vorhänge sprach. Sie flogen in der Luft und flirtete mit den geöffneten Fenstern. Sie flüsterten, aber blöderweise könnte ich sie nicht verstehen. Blöderweise, war mein Bett direkt unterm Fenster. Das war mein Idee. ich wollte unter der aufgehenden Sonne aufwachen. Das Bett schrie mich stumm an: „ich bin der logische nächste Tritt!“ Das war nicht so wunder­lich. 23 Stockwerke sind einfach zu viel. Seit wann ist es normal, auf den Köpfen anderer herumzutrampeln?

 

Besser wäre es nicht weiter gegangen zu sein, aber meine Füße verwandelten sich in Würmer und krochen langsam Richtung Bett. Nur einmal hat mein Körper geschafft mich zu stoppen. Am Rande der USA. Dort wo die Klippen ins Meer kippen. Dort schob ich eine Absperrung zur Seite. Ich ginge. Es war meine Idee.

 

Früher leiteten Träume meiner Wille. Jemand hatte mir gesagt: „Der Körper ist der Sarg der Seele.“ Das ist es, was ich seit langem fühle. wir erleben die Welt durch unseren Körper. Was ist unser tiefster Punkt? Unsere Füße! Das ist mein Hauptzueingang, nicht meine Augen. Wenn es regnet fühle ich es in meinem linken Fuß. Der müsste operiert werden. Eine Metallplatte und Fünf Schrauben sind dort implantiert. Schauen Sie nach wenn Sie mir nicht glauben. Jetzt ist es zu spät, die raus zu nehmen. Jetzt ist die Fremde in mir eingewoben. Ich bin teil-Metall.

 

Mein Onkel, Onkel P. lag lang lang in Bett und rief nach seinem früheren Leben. Es lag sechs Stunden in der Vergan­genheit. Er konnte seine Zehen nicht wackeln aber er fühlte seine Füße – also versuchte er aufzustehen aber „Bam!“ Er fiel hin. Seine Knöchel waren der tiefste Fleck seiner Beine. Dann kam nur Luft.

 

Onkel P. war ein Leben lang lang auf seinen Füßen: arbei­tend, sparend, zahlend, vernünf­tig-seiend. Jetzt im höheren Alter wollte er essend, rum-trin­kend, schlafend leben. Die Ärzte sahen aber einen anderen Plan. Er nahm Ihre Ansichten aber nicht an. Er war König über seinen Körper, nicht die! Außerdem fühlte er sich Fit. Dann kam die Diagnose. Dann kam die Abkapslung. „Ohne Füße was ist das für ein Leben?“ Hat­te er mich gefragt. Da stand ich an der Tür und hielt der Türrah­men fest.

 

Onkel P.’s Füße hatten ihm –

auch wenn sein Geist

nicht wollte – getragen.

 

Onkel P. könnte

nur weiter gehen

Wenn

Es so bliebe

wie es vorher war.

Jeder Bewegung war

für ihm

nun ein Jahrzehnt.

 

Onkel P. wollte keine

Nahrung mehr.

 

Onkel P. wollte

keine Medikamente mehr –

– auch die flüssigen nicht.

 

Als er nicht wollte

Half Worte nicht mehr

 

Onkel P. wurde

nach sechs Monaten

nachhause geschickt.

 

im Haus seines vergangenen Lebens

nicht zum Leben

sondern andersrum.

 

Ich stand oft

in der Ecke seines Zimmers

Ich schaute zu

Wie er verkam

 

In der anderen Ecke

des Raumes

Grau wie Weiss

Stand ein Tisch.

 

Drauf waren zwei

Gegenstände

Füße.

 

Idee Fuß:

Silikon

Metall

Stäbchen.

 

Er nahm

die aber nicht an.

Ich schaute

ihm

nur an.

 

So wie Sie

mich morgens

(Ja Sie!).

 

Onkel P. hat alles geplant.

Er lebte nicht für Jetzt.

Ich lebte ohne der Morgen. Aber das nicht-planen plagt mich jetzt. Ein Teil von mir will wie Onkel P. leben. Ich kann ihn nicht vergessen. Seine Geschichte ist auch meine Geschichte. Sie sagen ich solle mich Abnabeln. aber das ist eine Bluts-Sache.

 

Jetzt müsste ich aufstehen. Das weiß ich. Ich weiß wie es ist! Das Bett wird immer schwerer. Mein Puls verstärkt sich. Kleine Schweißtropfen scheinen sich direkt unter meinem Kopfhaar zu bilden. Dann kommen die Blanke Gedanken. Schlimmer als die schlechten Gedanken sind keine Gedanken.

 

Jeder Schritt könnte mich glücklich machen. Wenn ich nur wüsste welche. Ich bleibe jetzt trotz allem liegend und werde es nicht riskieren

glücklich zu werden – können.

Einmal war ich auf eine Exkursion – mit mein Bruder. Da am Kante der USA. Wir sahen was die Europäer sahen – bevor die Eroberung. Meer, Klippe, Grünes. Es war meine Idee. Ich wollte dorthin gehen. Zu sehen, was sich um die Ecke verbarg. Ich wollte bewusst am Rand stehen.

Als wir dort ankamen

stoppte uns ein Schild

auf einem Zaun:

„Go at your own Risk! Go at your own Risk!“

 

Wir überlegten. Ich nahm das Risiko an! Ich überquerte die Schwelle. Bruder folgte.

 

Dunkel Felsbrocken umringte uns. Die glänzten mit der Salz des Meeres. Nach fünf Schrit­ten sah ich den wahren tiefsten Punkt. Mein Bruder ginge froh weiter. Fröhlich die Weite zu sehen. Aber ich konnte nicht mehr. Meine Füße traten nur auf scharfe Kanten. „Splash!“ Das Wasser mahnte nach – „Splash!“ ich war der jüngere Bruder, der zum älteren Bruder wurde – aber jetzt:

 

war ich jüngere Bruder (wie­der-endlich). Ich dachte an Früher. Es wurde mir Gewahr wie einfach der Tod ist. Ein Augenblickliches Tagtraum und meiner Knochen könnten zerschnitten werden. Falls das nicht genügte für den Tod, würde der Strom mich dafür verdreschen.

 

Als das mir klar wurde schmolz mein Körper mit die Hoodoos zusammen. Hoodoos. So hießen die Gebilde auf dem wir gingen. Das wusste ich nicht. Ich lief auf lauter kleine Totem­pfähle. Jetzt weiß ich warum sie so heißen. Ich wandelte auf einmal ins Dreieck um. Mein Kopf hinge zwischen meiner Arme. Komisch die Welt von da aus zu betrachten.

Da unten

hallte mein Schädel: „Risiko’s Feind ist Versteinerung!“

 

Ich müsste ein Teil von mir abgeben. Ich sah ein Hand, ich hielt es, es sprach: „Don’t look down, just take the next step.“

 

Wissen Sie wer es war? Mein Bruder! Weiter gingen wir in Zeitlupe. Jeder Schritt war nun mein Jahrzehnt. Die Geräusche der Wellen vermischten sich mit allen anderen Geräuschen die ich je gehört hatte. Wir gingen auf eine unsichtbare ange­spannte Seil.

 

Er nahm mir mein Scham weg. Ich war zwischen Himmel und Hölle. Ich war über mein Angst gehoben.

 

Das wollte ich Ihnen Sagen:

„Ich habe die andere Seite des Angst erlebt.“

 

Es ist schön Herr Doktor F.

 

Ich war beflügelt.

 

Ich wusste nicht

Wie sie hießen

 

HOODOOS

Jetzt weiß ich

 

jeder Kante

streift Blut

 

im Sommerschuhen

Beige Wie Haut

 

lief Ich

Bruder Auch

 

Ich

der Abenteurer

 

Bruder

der Begleiter

 

Da

Strandenten Wellen

 

Hart

gegen Gestein

 

Tiefe des Meeres

Härte des Bodens

 

Luftige Angst

füllt

Jeder Schicht

 

Hände Ziehen

Magnetisch

nach unten

 

Becken Fliehen zur Himmel

 

Kopf richtet sich

gen Meer

Rutschen

Tödlich

Bleiben

Tödlich

 

Bruder

ginge

weiter

Ich

 

blieb

 

Oscar Olivo, *1981, ist Schauspieler, Puppenspieler und Autor. Am Schauspiel Hannover ist er in der Inszenierung „Orlando“ zu sehen.

 

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