Geistige Brandstiftung gibt es immer

 

Im Sommer 2023 feiert das Stück Biedermann und die Brandstifter von Max Frisch als Hoftheater Premiere. Ein aktuell anmutender Klassiker, der mit großer Komik und ernsthafter politischer Auseinandersetzung gespickt ist. Das Ehepaar Biedermann läuft zusehens in sein Verderben. Das macht Spaß und stimmt nachdenklich zugleich. Eine Parabel, die alles zu bieten hat. Auf ein Gespräch mit Regisseur Dominique Schnizer, der mit dieser Inszenierung sein Debüt in Hannover gibt, der Bühnenbildnerin Florence Schreiber und der Kostümbildnerin Annabelle Gotha.

 

Das Stück Biedermann und die Brandstifter ist über 60 Jahre alt. Ein echter Klassiker! Ist die Geschichte immer noch universell einsetzbar oder muss man sie kräftig  entstauben, damit sie ins Jetzt passt?

 

Dominique Schnizer: Die Geschichte an sich passt immer noch sehr gut in die Jetztzeit! Es geht hauptsächlich um die geistige Brandstiftung und die gibt es ja immer. Gestern  lief ich durch die Innenstadt und kreuzte eine Demonstration, in der Deutschland sinngemäß mit einer Diktatur verglichen wurde. Ich beobachte auch an mir Tendenzen,  dass ich mich oft in Diskussionen einmischen sollte, aber dann doch eher den Weg des  Schweigens einschlage, um wenig Konfrontationen einzugehen. An dieser Inszenierung zu arbeiten ist, wie ein Remake beim Film zu realisieren. Ein Remake hat immer den  Anspruch von Aktualität: Wie bekomme ich die Dialoge so heutig hin, dass ich nicht das Gefühl habe, einem literaturhistorischen Kolloquium beizuwohnen? Das sind Themen, mit denen wir uns im Theater viel mehr beschäftigen als Menschen zum Beispiel beim  Fernsehen oder im Radio. Wir wollen unbedingt im Hannover, oder noch größer gedacht, im Deutschland von heute andocken.

 

Was haben die „Spießer“ der 1950er-Jahre mit den „Spießern“ von heute gemeinsam?

 

Annabelle Gotha: Eine sogenannte Spießigkeit im Kostüm äußerte sich damals wie heute in einer Art von Zurückgezogenheit. Dezente Farben, nicht zu auffällig. Deshalb achte ich darauf, dass die Figuren zwar elegant gekleidet sind, aber nicht unbedingt einen großen Auftritt symbolisieren müssen, sondern das Dezente im Vordergrund steht. Genau das finden wir heutzutage in vielen (Paar-) Konstellationen. Das muss nicht  unbedingt „spießig“ bedeuten. Sich mit einem bestimmten Kleidungsstil in eine Gesellschaft einfügen oder sich in einem großen Bild anpassen. Das versuchen wir mit dem Biedermann-Pärchen auch.

 

Foto: Kerstin Schomburg

 

Wie adaptiert man ein Kammerspiel für den Theaterhof? Welche Herausforderungen  stehen da bevor?

 

Florence Schreiber: Die große und interessante Aufgabe war, einen Innenraum auf einen Außenraum zu adaptieren. Wie schaffe ich eine Illusion von einem geschlossenen Raum, obwohl das Publikum Bäume um sich herum hat und die Vorstellung im Tageslicht beginnt und bis in die Abenddämmerung spielt? Ich wollte unbedingt mit der vorhandenen Architektur umgehen und nicht irgendeine Bühne in den Theaterhof pressen. Wir arbeiten auf zwei Ebenen und benutzen die Formen, Farben und den Stil der Theaterfassade. Unten einen offenen Bereich, der Küche, Wohn- und Esszimmer verbindet. Auf dem Vorsprung darüber sieht man den Dachboden der Biedermanns. Ein modernes, ökologisch anmutendes Bungalowhaus.

 

Entsteht trotzdem ein Gefühl von Intimität?

 

Florence Schreiber: Ja! Erstens sitzt das Publikum sehr nah am Geschehen dran. Die Bühne ist sehr breit, aber nicht wirklich tief. So haben die Zuschauenden das Gefühl, sie säßen mit Biedermanns am Tisch. Das macht den großen Charme für das Hoftheater aus. Zweitens sieht man immer alle Figuren gleichzeitig. Wenn die Brandstifter heimlich auf dem Dachboden ihre Pläne schmieden, sieht man das Ehepaar Biedermann im Wohnzimmer. So ist man immer allen Figuren gleichzeitig nah.

 

Bedeutet der Untertitel „Lehrstück ohne Lehre“, dass Veränderungen in der Realität wirklich unmöglich sind?

 

Dominique Schnizer: Angeblich soll Mark Twain einmal gesagt haben: „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“ Mein Vater wird im Herbst 88 Jahre alt. Er ist Physiker und arbeitete bei CERN, der europäischen Organisation für Kernspaltung. Er war der Auffassung, dass die Atomkernspaltung sicher ist. Diese These hat er längst revidiert. Er war sich auch sicher, dass der Kalte Krieg vor ein paar Jahren endete und Frieden eingekehrt sei. Die Welt funktioniert aber anders. Das menschliche Gedächtnis funktioniert nur sehr kurz.

 

Foto: Kerstin Schomburg
 

 

Welche Themen werden heute zu oft unter den Teppich gekehrt?

 

Dominique Schnizer: Ich finde, dass es gerade eher die Tendenz zu großen Stellvertreterdiskussionen  gibt. Es werden viele gute und wichtige Themen angesprochen, finden endlich Platz in den politischen Diskussionen, aber meist werden zur Ablenkung viel mehr die Nebenschauplätze der Themen vergrößert, um nicht handeln zu müssen.

 

Florence Schreiber: Oft dort, wo es um Verantwortung geht, sei es der Klimawandel oder die Spaltungen in der Gesellschaft. Sobald Verantwortung im Spiel ist, die man nicht haben will, was sicher auch viel mit eigenen Privilegien zu tun hat, die vielleicht in Gefahr geraten −  immer dann entsteht eine Ausweichtaktik.

 

Annabelle Gotha: Ich finde, es wird viel weniger unter den Teppich gekehrt, aber es entstehen so gut wie keine Konsequenzen daraus. Im privaten, kleinen Rahmen passiert durchaus schon etwas, aber wie zieht z. B. die Politik an einem Strang und erarbeitet Strategien?

 

Dominique Schnizer: Es gibt eine gewisse Mutlosigkeit, Konflikte auszutragen. Konflikte werden oft auch nicht auf einer sachlichen Ebene ausgetragen, sondern persönlich der Person zugeschreiben, die auf eine bestimmte Art und Weise Dinge ins Rollen bringt und dafür  wird sie regelrecht kritisiert.

 

Annabelle Gotha: Es gibt keine gute Diskussionskultur. Die Gesellschaft verlernt überhaupt zu diskutieren. Oft wird Diskussion mit Angriff verwechselt und daraus entsteht dann ein Abblocken und In-sich-zurückziehen.

 

Wie haben wir uns die Brandstifter vorzustellen?

 

Annabelle Gotha: Im Original ist der Brandstifter Wilhelm Eisenring ein ehemaliger Kellner. So auch bei uns. Der andere heißt Schmitz und ist Ringer. Bei uns ist die Rolle weiblich besetzt und sie wird etwas mehr ins Heute geholt – aus dem Ringer wird eine Wrestlerin. Aber ob das der Wahrheit entspricht oder ein Akt der Täuschung ist, bleibt weiterhin für alle ein Geheimnis.

 

Florence Schreiber: Eigentlich sind sie genauso anpassungsfähig wie das Ehepaar Biedermann – egal welche Situation gerade anliegt, können sie wie ein Chamäleon gute Miene zum bösen Spiel machen. Sie versuchen, eine Fassade aufzubauen, und spielen ein Schauspiel. So bleiben sie vereinbar.

 

Feuer ist für dieses Stück quasi unersetzlich. Gibt es Effekte mit echtem Feuer?

 

Florence Schreiber: (lacht verschmitzt) Dazu kann ich jetzt noch nichts sagen.

 

Annabelle Gotha: (summt im Hintergrund) The roof, the roof, the roof is on fire …

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