#Interview
Marco Goecke im Gespräch über die Entstehung des Balletts A Wilde Story
Marco Goecke, nach deiner letzten Neukreation für Hannover, Der Liebhaber nach dem Roman von Marguerite Duras, widmest du dich nun den Werken des Schriftstellers Oscar Wilde.
Was interessiert dich an ihm?
Meine Ballette haben immer etwas mit mir persönlich zu tun. Ich habe Wilde als junger Erwachsener gelesen und war fasziniert von seinen Märchen, Gedichten und seinem lebenslangen Kampf um Selbstverwirklichung. Vor allem aber hat mich sein Mut beeindruckt, ganz explizit über Homosexualität zu schreiben, was ihm später zum Verhängnis geworden ist. Wegen homosexueller „Unzucht“ wurde er zu zwei Jahren Zuchthaus mit harter Zwangsarbeit verurteilt. Diese Jahre ruinierten seine Gesundheit. Nach seiner Entlassung lebte er verarmt in Paris, wo er im Alter von 46 Jahren starb. Es ist erstaunlich, dass in Wildes Texten auch nach mehr als einem Jahrhundert noch so viel Aktuelles mitschwingt. So wird beispielsweise Homosexualität immer noch in 69 Ländern strafrechtlich verfolgt, in elf sogar mit der Todesstrafe bestraft.
Wird es denn ein Ballett über Oscar Wildes Leben?
Nein, jedenfalls nicht ausschließlich. Es gibt zwar die Figur des Oscar Wilde und auch die seines Geliebten Lord Alfred Douglas und die seiner Ehefrau Constance. A Wilde Story ist aber keine biografische Nacherzählung. Vielmehr begegnet die Figur des Oscar Wilde in meiner Choreografie ihren eigenen literarischen Figuren, manchmal wie in einer Traumwelt.
Was ist für dich das Besondere an der Wechselwirkung von Tanz und Literatur, die dich auch bei deinem letzten Kreationsprozess zu Der Liebhaber in Hannover inspiriert hat?
Ich versuche, der eigenen Fantasie freien Lauf zu lassen und gleichzeitig dem Schriftsteller oder der Schriftstellerin gerecht zu werden und das permanent auszubalancieren. Oscar Wildes Märchen beispielsweise leben von sehr detaillierten, eindrucksvollen Bildern, die sich im Theater gar nicht eins zu eins umsetzen lassen oder schnell zu kitschig wirken könnten. Mein choreografischer Ansatz ist es, die Essenz der Geschichte herauszufiltern: Manchmal ist es eine Geste, ein Schritt oder eine Requisite, die dann das Wesentliche erzählt.
Kannst du das an einem Beispiel erläutern?
Beispielsweise habe ich mich von dem Märchen Der Glückliche Prinz inspirieren lassen. In dem Märchen ist der Prinz eine von Edelsteinen überzogene Statue. Anstatt den Prinzen über und über mit Edelsteinen auszustatten, habe ich nur seine Finger mit Ringen geschmückt, um der Geschichte zu folgen. Was also in den Märchen statisch und tot ist, fülle ich mit Bewegung. Trotzdem muss das Wesen der Statue erkennbar bleiben. Das macht den Prozess kreativ und führt mich immer wieder zu Bildern, die auch etwas mit mir persönlich zu tun haben.
Welche seiner Werke ziehst du noch für das Stück heran?
Wildes Märchen zeichnen sich häufig durch einen Wendepunkt aus, an dem etwas in eine unerwartete Richtung umschlägt. Von besonderem Interesse bei seinen Märchen ist für mich Die Nachtigall und die Rose. Hier erzählt Wilde von dem einzigartigen, ideellen Wert der Kunst. Die Nachtigall, die sich für die Schönheit und das Ideal der Liebe opfert, wird sowohl von einer Tänzerin der Compagnie als auch von den Sopranistinnen Kiandra Howarth und Mercedes Arcuri verkörpert. Natürlich habe ich auch den berühmten Roman Das Bildnis des Dorian Gray als Inspirationsquelle genutzt. Er ist in Bezug auf Wildes ästhetisches Verständnis ebenso Teil des Stücks wie der ihm zugesprochene Roman Teleny, der die ausweglose Liebe zweier Männer im viktorianischen Zeitalter widerspiegelt. Darin lassen sich große Parallelen zu Wildes eigener Liebe zu Lord Alfred („Bosie“) finden.
Dieses bunte Tableau von Figuren war sicherlich für den Kostümbildner eine große Freude …
Ja. Nachdem der Bühnen- und Kostümbildner Marvin Ott die Uraufführung Der Liebhaber hier zu Ende geführt hat, ist dies nun seine erste eigene Arbeit für das Staatsballett. Hierzu haben er und die Dramaturgie sich intensiv mit der Zeit, in der Oscar Wilde gelebt hat, auseinandergesetzt. Eine Zeit des großen industriellen und gesellschaftlichen Wandels. Marvin Ott hat in seinen Gruppenkostümen die strengen, gesellschaftlichen Normen aufgegriffen, denen sich auch Wilde ausgesetzt sah.
Wie können wir uns die Arbeit im Ballettsaal vorstellen?
Ich verwende gerne, noch bevor ich mit der eigentlichen Auswahl klassischer Musik beginne, Popsongs. Es sind meistens Songs, die mich gerade durch die Zeit dieser speziellen Kreation begleiten. Im Moment sind es die Smashing Pumpkins, Aretha Franklin oder Antony and the Johnsons. Erst später füge ich dann die eigentliche Musik mit der Choreografie zusammen.
Nachdem ich in den vergangenen Monaten auch für andere Compagnien kreiert habe, ist mir wieder bewusst geworden, wie viel Sicherheit es mir gibt, mit den Menschen zusammenzuarbeiten, die ich schon so lange kenne. Wie eine Familie, für die man jeden Tag ins Theater kommt.
A Wilde Story
Ballett von Marco Goecke
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