GMD Stephan Zilias im Gespräch mit Dramaturgin Swantje Köhnecke zur Turangalîla-Symphonie von Olivier Messiaen

 

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Im 3. Sinfoniekonzert des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover in der Konzertsaison 2021/22 dirigierst du Olivier Messiaens Turangalîla-Symphonie, und du hast gesagt, dieses Stück wolltest du unbedingt in Hannover machen. Warum?

 

Stephan Zilias: Die Turangalîla-Symphonie steht schon sehr lange auf meiner Wunschliste, man bekommt aber nicht oft die Möglichkeiten sie aufzuführen, und zwar der Anforderungen wegen: Sie ist sehr groß besetzt, man braucht eine:n fantastische:n Klaviersolist:in, man braucht eine:n Solist:in für Ondes Martenot – zu diesem sehr merkwürdigen Instrument kommen wir gleich bestimmt noch. Und dann braucht man eine ganze Armada von Schlagzeugern … dementsprechend aufwändig ist das Ganze. Aber es ist ein Werk von absolut kosmischen Dimensionen, ein Werk der überbordenden Freude, ein Werk der Verneigung vor Schöpfung, vor Liebe. Ein Stück, das die Maßstäbe sprengt in jeglicher Hinsicht.

 

Du hattest das Stück also lang auf dem Zettel, wie bist du auf Messiaen gekommen? Wie ist deine Verbindung zu diesem großen französischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, dessen Leben von 1908 bis 1992 ein ganzes Jahrhundert umspannt.

 

Meine Beziehung zu Messiaen ist über den Umweg Pierre-Laurent Aimard und Tamara Stefanovich entstanden, die auch unsere Solistin sein wird. Aimard war ein Protégé von Messiaen bzw. seiner zweiten Frau, Yvonne Loriod, er hat bei ihr studiert. Über ihn bin ich mit der Klangsprache und diesem Klangkosmos in Berührung gekommen.

 

Und Pierre-Laurent Aimard war wiederum dein Lehrer …

 

Genau, ich habe bei Tamara Stefanovich und ihm in Köln studiert. Darüber fügt sich die Verbindung zusammen, die ich zu Messiaen habe.

 

War Aimard wichtig, dass ihr Schüler:innen Messiaen spielt?

 

Aimard war und ist es bis heute extrem wichtig, dass man im Studium Musik aus allen Epochen spielt. Ich habe Musik von Komponisten vor Bach wie Sweelinck im Studium gespielt, bis zu Musik von heute lebenden Komponisten. Wobei man sagen muss, dass Messiaen ja ein anerkanntermaßen großartiger Komponist des klassischen Kanons geworden ist. Das ist nicht mehr zeitgenössisch …

 

Die Turangalîla-Symphonie etwa ist kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, das ist in anderen Lebensbereichen wirklich historisch!

 

Aimard war es wichtig, dass man auch diese Musik spielt, und ich bin ihm dafür wahnsinnig dankbar. Denn meine stilistische Neugierde hat sich über ihn auch auf die sogenannten Randbereiche ausgedehnt, die keine Randbereiche sein sollten.

 

Messiaen auf dem Klavier zu spielen ist … schwer?

 

Ja! Yvonne Loriod, für die Messiaen fast alle Klavierstücke geschrieben hat, war eine ganz fantastische Virtuosin. Es gibt einige Stücke, die sie auch zusammen mit Messiaen gespielt hat, zum Beispiel Vision de l’Amen, ein ganz wunderbarer Zyklus für zwei Klaviere. Und das hat er dann auch ausgenutzt. In der Klavierklasse haben wir viele Werke aus dem Catalogue d’oiseaux gespielt, dem Katalog der Vögel – ein Werk unglaublichen Ausmaßes! Messiaen war ja mehr als ein Hobby-Ornithologe, mindestens semiprofessionell, der sagte, er könne 600 bis 700 Vogelrufe unterscheiden. Wir haben viele Werke davon in der Klasse gespielt, Aimard selbst übrigens auch. Er hat mal hier in Herrenhausen das ganz verrückte Projekt aufgeführt, ab morgens um 5 Uhr mit den ersten Vöglein zu spielen bis in die späten Abendstunden, so wie die Vögel aktiv sind – mit dem Projekt war er auch in Hannover.

 

Die Schwierigkeiten sind technischer Art, das ist sehr anspruchsvoll. Und besonders schwer fand ich das Memorieren, weil das blockhafte Kombinieren und die vertrackten eigenartigen Rhythmen nicht so leicht in den Kopf gehen. Aimard selbst hat den riesigen Zyklus Vingt régards sur l’enfant-Jésus, mit 16 oder 17 Jahren auswendig gespielt – das sind fast zwei Stunden Musik! Und wenn man diesen Anspruch ansetzt, muss man als sein Student auch ein zehnminütiges Stück aus dem Catalogue d’oiseaux auswendig spielen.

 

Tamara Stefanovich ist unsere Klaviersolistin – es ist eine große Ehre für uns, dass sie nach Hannover kommt. Und es gibt noch ein zweites Soloinstrument, das du schon angesprochen hast: Ondes Martenot. Was ist das für ein Instrument?

 

Ondes Martenot baut auf dem Theremin auf, vielleicht ist das dem Einen oder Anderen geläufiger: ein elektroakustisches Instrument. Der Erfinder der Ondes Martenot war aber auch Cellist und hat versucht, die klangliche Welt des Cellos und der menschlichen Stimme mit dem Theremin zu kombinieren. Ondes Martenot ist ein merkwürdiges Instrument. Wenn Sie mich fragen, klingt das wie ein Geisterinstrument. Heutzutage verortet man es vielleicht in der Filmmusik, als Effekt, den man auch im Computer herstellen könnte. Und diesen völlig ätherischen Klang setzt Messiaen in der Turangalîla-Symphonie ganz gekonnt ein. Man kann Ondes Martenot meines Wissens auch studieren, aber nur in Paris. Die einschlägigen Solist:innen, die Ondes Martenot spielen, konzertieren mit Turangalîla rauf und runter, reisen mit ihrem eigenen Instrument im Riesenkoffer, und es gibt Geschichten, dass sie mitunter im Zoll feststecken: „Was zum Geier ist denn das, das ist doch kein Instrument?“ – sehr witzig!

 

Was bedeutet es für ein Orchester, das Werk einzustudieren?

 

Für das Orchester wird es eine große Herausforderung, aber auch eine große, große Freude, da bin ich mir sicher. Die Turangalîla-Symphonie stand auch schon auf einer Wunschliste von Stücken, die mir das Orchester zugespielt hat. Es ist riesig viel zu spielen. Es gibt laute und bombastische Musik, es gibt aber auch unendlich zarte Stellen. Es gibt auch Stellen, wo die Zeit stillsteht. Es gibt einen Satz, bei dem man gar nicht weiß, wie man ihn dirigieren soll, weil die Musik so langsam ist! Das ist auch eine Komponente von Messiaens Musik, die ich sehr interessant finde. Berühmt auch im Quartett auf das Ende der Zeit, dem Quatuor pour la fin du temps, wo ganz langsame Metronomzahlen auf die ganz kleinen Noten gesetzt sind – diese Langsamkeit muss man aushalten, das ist extrem schwierig. Es wird für uns alle eine extrem lohnende Beschäftigung sein, denn das ist – das betone ich noch einmal – keine Ausgrabung, sondern ein anerkanntes Meisterwerk, das sich seinen Platz im Kernrepertoire erspielt hat!

 

Dann freuen wir uns auf die Turangalîla-Symphonie im Dezember 2021 im Opernhaus in Hannover. Vielen Dank für das Gespräch!

 

3. Sinfoniekonzert: Liebe

Olivier Messiaen: Turangalîla-Symphonie

Sonntag, 05.12.2021, 17:00 Uhr

Montag, 06.12.2021, 19:30 Uhr

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