Der Ritter von der komischen Gestalt

 

Ein Nachruf auf den Schauspieler Ernst-Erich Buder

 

von Michael Laages

 

Ernst-Erich Buder ist gestorben, im 85. Jahr. Auf der Theaterbühne in Hannover habe ich ihn zum ersten Mal gesehen am 6. März 1973 …

 

Was ein „Schlaraffe“ ist? Vor allem ein fröhlicher Mensch. Die „Schlaraffia“, als Verein gegründet 1859 in Prag, erklärt aber auch, was ein Mitglied der schlaraffischen Gesellschaft nicht ist: kein „Druide“, kein Freimaurer; leider (wenn die Daten im In-ternet noch stimmen) auch keine Frau. Ein Geheimbund von Männern und eine studentische Verbindung ist die „Schlaraffia“ aber auch nicht: „Wir sind von allem ein wenig“, räumen die Ober-Schlaraffen immerhin ein. Kultur in jeder Hinsicht ist wichtig für den Schlaraffen; und Humor. Der wird für ihn zum „süßen Brei“ wie im Märchen vom Schlaraffenland.

 

Als wir einander etwas näher kennenlernten (er war gerade 60), hat Ernst-Erich Buder mich überrascht mit dem Bekenntnis des Schlaraffen; und mit dem kleinen Schlaraffen-Abzeichen am Jackett. Als wir miteinander arbeiteten, war er Teil der illustren Gesellschaft an der Bord der „Titanic“, die in Thomas Bernhards Stück um Immanuel Kant gen New York schippert, weil der Königsberger Philosoph dort ein Augenleiden kurieren lassen will; ich war gastweise Dramaturg der Inszenierung von Hartmut Wickert auf dem Bühnen-Schiff von Thomas Dreißigacker. Vielleicht war es ja die Premierenfeier, bei der sich Ernst-Erich geoutet hat.

 

Das war 1997; noch bis 2009 blieb er Teil des hannoverschen Ensembles. In Berlin aufgewachsen, war Buder 1971 nach Hannover gekommen; und ich habe ihn zwei Jahre später erstmals auf einer hannoverschen Theaterbühne gesehen: im alten Ballhof. Den 6. März 1973 verzeichnet die ins Programmheft von damals geklebte Eintrittskarte als Tag der ersten Begegnung. Buder war noch recht frisch im Schauspiel-Ensemble um Regisseur Franz Reichert; der hatte acht Jahre zuvor das Erbe von Kurt Ehrhardt angetreten, der seinerseits speziell im Ballhof eine Art von besonderem Kammerspiel-Stil kreiert hatte. Im März 1973 war schon klar, dass Reichert Hannover verlassen würde; und Ernst-Erich Buder spielte die Titelpartie in Nikolai Erdmanns funkelnder Sowjet-Satire Der Selbstmörder.

 

„Wie er als Ehemann raunzt, wie er prahlerisch die Tuba bläst, wie er sich Mut antrinkt, wie er vor den Lebenden Angst hat und vor dem Tod zu zittern beginnt, das ist großartig und wird doch nie übertrieben“, schreibt damals Bernhard Häussermann nach der Premiere in der HAZ. Und er findet ein Wort, das grundsätzlich viel zu tun hat mit Buders Theaterleben: „Er hält die Gestalt in den Grenzen der Gewöhnlichkeit.“ Nicht so oft hat Ernst-Erich Figuren von spektakulärer Größe und herausfordernder Gefährlichkeit gespielt wie diesen Semjon Semjonowitsch Podsjekalnikow; aber als ich sehr viel später, 2007, Samuel Finzi Erdmanns Selbstmörder spielen sah, in der Berliner Volksbühnen-Inszenierung von Dimiter Gotscheff, habe ich mich auch an Ernst-Erich Buder intensiv erinnert gefühlt, dieses Muster eines zurückhaltenden, immer fern vom Spektakel agierenden Ensemble-Schauspielers.

 

Wer noch zum „Selbstmörder“-Team 1973 gehörte? Lauter fast vergessene Namen: Gertrud Hinz (aus der berühmten Theater-Familie!), Hannes Riesenberger, Christa Lorenz, Elke Claudius … vielleicht mag sich jemand mit erinnern.

 

Nach der gemeinsamen Erfahrung mit Thomas Bernhard und Immanuel Kant, und von dieser so besonderen Begegnung inspiriert, entstand übrigens auch ein Dreier-Porträt für’s Fachblatt „Die Deutsche Bühne“ – mit Sibylle Brunner, Ingo Eckert und eben Ernst-Erich traf ich mich zu Gesprächen über „die Zeit danach“, über das Leben als Rentnerin und Rentner, nach so viel gemeinschaftlich verbrachter Zeit im Theater-Ensemble. Jeder und jede verabschiedet sich ja auf andere Weise in das, was stets so oberflächlich und unangemessen „Ruhestand“ genannt wird – Ernst-Erich aber, der munterste von allen, passte überhaupt nicht ins Senioren-Bild.

 

Ihn hat das schlaraffische Rumgewurschtel auf unterschiedlichsten kulturellen und humoristischen Ebenen viel länger jung gehalten als das anderen gelang. Er trieb sich rum – im Kleefelder Wohnstift etwa, wo heute meine Mutter zuhause ist, gastierte er mit Texten und Humoresken von Wilhelm Busch; auch die großen Satiriker der 1920er Jahre wie Kästner und Tucholsky gehörten zu Ernst-Erichs Vortragsrepertoire, auch Humoristen wie Joachim Ringelnatz und Heinz Erhardt. Obendrein konnte er ja auch singen, kein Wunder als Sohn des Komponisten, der so hieß wie der eigene Sohn; Buder der Jüngere war ein höchst akzeptabler Operetten-Buffo – und gelegentlich ist auch diese seltene Fertigkeit zum Bestandteil des unruhig-produktiven Rentner-Lebens geworden. Und nicht zu vergessen: Mit großer Regelmäßigkeit sind wir uns in der Kantine vom NDR-Funkhaus am Maschsee begegnet; er absolvierte gerade einen Sprecher-Auftrag für die Kollegin Anna Hartwich, ich einen Bericht über irgendeine Premiere.

 

Wenn wir dann über die jeweils letzten neuen Schreie in der Bühnenwelt räsonierten, war er naturgemäß der eher Konservative, der sich nicht blenden lassen mochte von modischem Schnickschnack … ihm zuhörend, habe ich die eigenen Maßstäbe überprüfen können; manchmal müssen.

 

Da er auch im Internet unterwegs war (wenn auch selten), habe ich vom Aufenthalt in einer Reha-Klinik erfahren; was zuvor passiert war, weiß ich nicht. Den 85. Geburtstag hat er nun also nicht mehr geschafft – aber ich kann mir Ernst-Erich, den Schlaraffen im Theater-Land, als zufriedenen Menschen vorstellen.

 

Michael Laages, 1959 in Hannover geboren, arbeitet als freier Autor und Theaterkritiker u.a. für Deutschlandfunk, Die Deutsche Bühne und Theater heute.

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