von Luise Meier

 

Ein Strang, den das Nachdenken über Autonomie verfolgen kann, als Bewegung von einer heteronomen Verkettung zur anderen, findet sich hier als Protokoll. Andere wären an anderen Stellen zu verfolgen. Hier aufgrund von Gesetzen, die die Zeit macht, die der gesellschaftliche Umgang mit Zeit macht, die die Einschleifung irgendwelcher Priorisierungen nach sich zieht, die wir aus Platzgründen nicht zurückverfolgen können und deswegen vorläufig zufällig nennen, eben nur ein Strang. Ein Verlauf in eine Richtung, vorläufig, vielleicht exemplarisch. Jedenfalls eine relativ willkürliche Fokussierung, die diesen Text erzeugt, durchs Ent-Scheiden, also Sich-Verheiraten mit dieser und nicht der anderen Richtung. In der Hoffnung, in Komplizenschaft mit dem Zufall (der mangelnden Einsicht ins Heteronomienballett) zündende Missverständnisse (ebenfalls mangelnde Einsicht ins Heteronomienballett, also Zeitmangel, also Heteronomie der Endlichkeit) zu erzeugen, die im besten Falle – vielleicht auch nur als Nebenprozess, als Abfallprodukt – Revolution, also ordentlich Umdrehungen, erzeugen. Der Strang hier ist jedenfalls schon mal völlig heteronom, eingekeilt in Zwänge und Gewohnheiten, dem Zwang zur Verweigerung und dem zum fleißigen Melden dieser Verweigerung beim zuständigen Meldewesen – hier dem Magazin des Schauspiel Hannover – zum Beispiel. Und dann die Lust, die sicher zwanghaft ist, sich zwischen den Heteronomien so schnell hin und her zu werfen, bis man (wer dann eigentlich noch?) die Orientierung verliert und in Genossenschaft mit dem Zufall die Heteronomien zum Tanzen bringt – wenigstens vor den eigenen Augen.

Das Ziel ist – vorläufig –, dass der Zwang, den der Strang dieses Textes hier entwickelt, die anderen Zwänge, nicht zu schreiben zum Beispiel oder nicht zu arbeiten oder nur zu arbeiten, also entfremdete Scheiße abzuarbeiten, übertölpelt. Das Ziel ist, dass der Strang, der Denkzwang, der Formulierungs-, der Sprech-, der Schreib-, der Meldezwang oder der Zwang, sich der Feststellung, also der Zustandsreduktion zu entziehen, eine autonome, also von den ganzen Zwängen des Individuums, also von MIR autonome Maschine wird – also MICH verändert, also UNS, weil DU oder IHR ja schon jetzt hier mit drin steckt bzw. jetzt ist das lesenden Auges schon WIR.

Allein weil das Auge der vermeintlichen Autorin jetzt beim zweiten Lesen und manischen Anfügen schon nicht mehr dasselbe Auge ist, das da vorhin schrieb.

Das Ziel ist, autonom von sich selbst zu werden. Das Selbst verstanden als Schnittstelle von spezifischen Heteronomien, die diese Heteronomie hier, nennen wir sie TEXT, jetzt zu durchbrechen versucht.

Hier sei hingewiesen auf das Paradoxon, das den Motor befeuert. Denn wenn man autonom von sich selbst wird, ist man im zweiten Schritt ja doch wieder selbst das von sich autonom Gewordene, muss also sich davon wieder wegwerfen, hinüberwerfen in ein beliebiges Anderes, und wird dann eben doch wieder selbst das, was dann da drüben hingeworfen steht, weswegen man sich wieder weghebeln, wegschießen, wegkatapultieren muss, irgendwie, um den Gesetzen der Schwerkraft, der Versteinerung, der Stillstellung zu entkommen. Angereichert mit den Erinnerungen, den Erfahrungen des vormaligen Zustands, aber, da durch Erfahrungen (die natürlich nicht selbstbestimmt sind) verändert, eben selbst nicht mehr man selbst, im neuen, variierten, mutierten Zustand.

Im mutierten Zustand wird die Hoffnung vermutet, weswegen die Tür offen bleiben muss für den Zufall.

In der Kunst zum Beispiel hilft gegen das Identischwerden mit dem Markt, mit sich selbst als Ware, nur noch das Überlaufen zum Gesetz des Zufalls, zum ständigen Hinauskatapultiertwerden durch Störfaktoren, Missverständnisse, Irrtümer, Zufälle – die anderen, das andere. Der Zufall und das Paradoxon. Die Zerstreuung des Selbst in die Anderen, in sein Anderes. Das Heraustreten aus der Verdauung durch den Markt in eine andere Verdauung durch den Zufall, eine Verstrickung von Ansammlungen anderer Zwänge und Gesetzmäßigkeiten. Oder gezielter: das ständige Überlaufen zum Gegenprogramm, wobei ob man dort ankommt wieder nur in Komplizenschaft mit dem Zufall austariert werden kann.

Die MS Rosa Luxemburg z. B., dieses sehr spezielle Motorschiff zwischen Sozialismus und Barbarei, tuckert auf einem Meer und Mehr aus Niederlagen dahin, dabei das Labyrinth kapitalistischer Heteronomien kartierend, sie miteinander in Reibung bringend, bis sie den sozialistischen Motor entzünden.

Die Autonomie geht verloren in dem Moment, in dem man an sie glaubt. Deswegen wird hier nichts festgestellt, sondern ein Motor angeworfen, der im besten Fall andere Motoren anwirft, sich immer weiter verschaltet, der nicht zum Stillstand kommt, der die Zerstreuung der Autonomie betreibt, ihr immer ein wenig verspätet hinterhertuckert oder besser: sich ihr hinterherstreut, sich selbst verstreut. Autonomiezerstäuber.    

Also Zwischenstand für das Protokoll:

Die Autonomie kann nur aufblitzen, als Verstreute, Zerstreute, als Herumstreunen im Labyrinth der Heteronomien. Sie kann nicht sie selbst sein und nicht bei sich selbst sein. Sie kann nur herumhüpfen von einer Heteronomie zur anderen. Autonomie – Oszillierer im Netzbetrieb (laut Wikipedia ein Multitool). Sie kann nur in Komplizenschaft mit dem Zufall entzündet werden, an einer obsessiven Beschäftigung mit den Heteronomien, durch ihre manische, ständig variierende Neuverknüpfung, Neuverkabelung, durch ihren Kurzschluss. Durch die Zerstreuung in ihre eigene Enttäuschung, die Enttäuschung ihrer Eigenheit, in ihre Niederlagen. Diese Bewegung, dieses Spiel kann sie betreiben. Nicht mehr, nicht weniger. Sie bezeichnet das Aufeinandertreffen von Heteronomien, das Durchkreuzen der einen Fremdbestimmung durch die andere. 

Wer sich aus der Ausbeutung befreien will, unterwirft sich den Gesetzmäßigkeiten des Streiks, einer bestimmten kollektiven Organisation und Organisationsform, der Verhandlungmasse und -macht, des je spezifischen Kampfs oder des Lebens abseits der Lohnarbeit. Dort wiederum sich in neuerliche Widersprüche verstrickend, sucht man nach neuen Regeln, Gesetzmäßigkeiten, die die Beharrungskräfte durchkreuzen, die jedem Absprung auf dem Fuße folgen. Der Zufall bestimmt mit, welche Fliehkräfte, welche Widersprüche, in die man hineinfällt, einen wiederum abstoßen und in welche neuerlichen Widersprüche katapultieren. Auch Widersprüche sind Zwänge, die aufeinandertreffen, wo Energie entsteht, die den Motor anwirft – Krise.

Den Motor anwerfen, der vielleicht auch ein Lernen ist, das wäre die Hoffnung. So und so nicht, sondern so. So und so aber wiederum auch nicht, also anders und immer so weiter. Deswegen das Meldewesen anlegen, als Verzeichnis der Kurzschlüsse, Fehlschlüsse, als Motor neuer Mutationen, Einfallstor für den Zufall und Zerstäuber neuer Missverständnisse. Denn, da sind wir ganz pragmatisch immer auf der Suche nicht nach dem Einfall, sondern nach dem Ausfall, nach dem relativ praktischsten Fehlgriff zur entsprechenden Zeit. 

Das Sich-Herauswinden aus der einen geht einher mit dem Sich-Verketten in die andere heteronome Konstellation. Nicht ohne Grund folgt dem Ruf, die Ketten abzuwerfen, meist der Ruf „Kette bilden!“ nach und umgekehrt. Was Befreiung dann heißen kann, wäre vielleicht: nicht auf diese gerade herrschende Art verkettet sein zu wollen. Die – oft blinde – Suche nach einer neuen, anderen Kettenreaktion, nach einer neuen Variation der Verkettungen. Dafür sind die Selbste, die ständig mutierend im Dunkeln herumtappen als Luftwurzeln auf der Suche nach neuen Verkettungen, wichtig, nicht als autonome, sondern als singuläre, potenziell unendlich verschiedene Versuche neuer Verkettungsvariationen – als Potenzial neuer Mutationen oder Transformationen von Welt. Als je spezifische Schnittstellen von Heteronomien. Als Testballons und Indikatorstreifen, wie dieser Text einer sein will. Aus dem im besten Fall ein neuer hervorkatapultiert wird, der sagt: „So und so nicht, sondern anders!“ Der sich der Zustandsreduktion widersetzt, abstößt und ein neues Protokoll startet, das sich anders verkettet und vielleicht auch an die Meldestelle vordringt.

 

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Luise Meyer *1990 in Gießen, ist Dramaturgin und Autorin. Ihr Stück Halt mich auf,  2019 mit dem Publikumspreis des Hans-Gratzer-Stipendiums ausgezeichnet, wurde in Nürnberg uraufgeführt. Zuletzt erschien Jupiter brüllt.

 

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