„Ein Spiel mit Blickwinkeln und Dimensionen“

 

Im Schauspielhaus geht es um einen radikalen, krassen und zugleich komischen Selbstversuch über Paarbeziehungen in der Produktion Liebe / Eine argumentative Übung am Beispiel der beiden Comicfiguren Olivia Öl und Popeye, dem Seemann. Wir sprachen mit Regisseurin Julia Wissert, Ausstatterin För Künkel und der Schauspielerin Mariann Yar über Beziehungsmuster.

 

Julia, was verbirgt sich hinter dem Titel Liebe / Eine argumentative Übung?

 

Julia Wissert: Liebe / Eine argumentative Übung ist ein Stück der Dramatikerin Sivan Ben Yishai, in dem verhandelt wird, was denn der Kern von Liebe ist. Immer wieder starten die Figuren neue Ansätze und werfen sich in Übungen rein, um gemeinsam herauszufinden, was eigentlich schiefgelaufen ist in ihrer letzten intensiven Beziehung. Alles, um dann am Ende festzustellen, dass es gar nicht wirklich um Liebe und Beziehung geht, sondern um die Frage nach gesellschaftlichen Projektionen, Erwartungen, die an einen weiblich gelesenen Körper herangetragen werden und um die eigenen Bedürfnisse, die man sich immer wieder selbst vor Augen führen muss.

 

Wer erzählt uns die Geschichte und welche Figurenkonstellation finden wir auf der Bühne vor?

 

Julia Wissert: Die Geschichte wird erzählt aus der Perspektive von vier Stimmen, die gemeinsam der Frage nachgehen: Wie ist das Verhältnis der beiden Comicfiguren Olivia Öl und Popeye so geworden, wie es geworden ist? Was war die Verantwortung von Olivia und was hat eigentlich Popeye dazu beigetragen, dass Olivia Öl immer nur im Schatten von Popeye stand? Es ist eine spannende Untersuchung, in der man irgendwann feststellt, dass es in Wirklichkeit gar nicht um den Comic geht, sondern um die Stimmen selbst.

 

Können die Zuschauer:innen aus dem Text etwas für ihre eigenen Beziehungen mitnehmen?

 

Julia Wissert: Natürlich können sie aus dem Text etwas für ihre eigenen Beziehungen mitnehmen, und zwar, dass es wichtig ist, sich über die eigenen Bedürfnisse, Grenzen und Ansprüche im Klaren zu sein und sich immer wieder darauf zurückzubesinnen, dass nur, wenn ich mich selbst liebe, ich wirklich Liebe empfangen kann.

 

Julia Wissert
Foto: Birgit Hupfeld
För Künkel
Foto: privat
Mariann Yar
Foto: Valeria Mitelman
     

 

Das Stück ist ein innerer Monolog, gesprochen von einem Kollektiv. In welchem Raum bewegen sich die Spielerinnen?

 

För Künkel: Der Text von Sivan Ben Yishai ist sehr haptisch und körperlich geschrieben. Der innere Monolog der Protagonistin kreist immer wieder um verschiedene Blicke auf sie als Frau und auf ihren Körper. Ihren eigenen Blick auf mich und den Blick der anderen auf sie. Meistens jedoch der von ihr angenommene Blick der anderen auf sie. Dieses Kreisen habe ich als Ausgangspunkt des Raumkonzeptes genommen. Inspiriert war ich auch von den „Body Landscapes”der Malerin Luchita Hurtado, deren Bilderserien den eigenen Blick an sich herunter zu Landschaften werden lassen. Es ist ein Spiel mit Blickwinkeln und Dimensionen. Die Körperlandschaften in der Bühne werden kombiniert mit mikroskopischen Hautaufnahmen, die ihrerseits auch nach Terrain aussehen. Und allmählich kann dieses Terrain in der Erkundung durch die Darstellerinnen aufbrechen und zu neuen Formen zusammengesetzt werden.

 

Du entwirfst hier in Hannover Bühne und Kostüme für Liebe. Hast du beides von Anfang an zusammen entwickelt?

 

För Künkel: Die Kostüme habe ich im zweiten Schritt entwickelt – aber angelehnt an den Raum geht es auch hier um Körperfragmente und Dimensionen. Hinzu kommt das Element der Transparenz, denn mich hat die Frage nach der Selbstoptimierung des Körpers (zum Beispiel durch Muskeltraining) und der Fragilität dieses Trainings interessiert. Also, wie wandelbar und formbar ist unser Körper und wie lange bleiben diese Formen erhalten? Das sind ästhetische Elemente, die auch in den Körpern der Comicfiguren Popeye und Olivia Öl eine Rolle spielen.

 

Du bist eine der vier Olivias in dem Stück, wie begegnest du dieser (Comic-)Figur?

 

Mariann Yar: Ich freue mich sehr, diese Figur mit drei anderen großartigen Spielerinnen teilen zu dürfen. So vielschichtig und komplex, wie Olivia durch ihren eigenen Kopf und die Geschichte mit sich, ihrem Körper, ihrer Familie und ihrem (Ex-)Freund surft, kann es gar nicht genug Positionen und Stimmen geben, die sich damit auseinandersetzen, sich ergänzen, hinterfragen, widersprechen, trösten, bestätigen und herausfordern. Dabei finde ich es besonders wichtig, dass wir vier zwischendurch auch wie ein Körper auf der Bühne agieren. Mir gefällt die Vorstellung, dass ein fast ausschließlich weiblich positioniertes Team so stark voneinander abhängig ist und sich zusammentut, um in dieser patriarchal kapitalistischen Gesellschaft die Geschichte einer Frau zu erzählen, die sich am Umgang mit der eigenen Lust und in Beziehung zu einem Mann beinahe die Zähne ausbeißt (literally!).

 

Was ist für dich als Schauspielerin die größte Herausforderung im Probenprozess?

 

Mariann Yar: Mir graut es jetzt schon davor, die sexuell expliziten Stellen in der Vorstellung zu spielen, in der meine Familie drinsitzt. Ich komme aus einem Haushalt, in dem Sexualleben ein Tabuthema war. Das wird schon eine große Überwindung.

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