Weiter miteinander atmen
Mit musikalischen Hits wie „Every Breath You Take“ und „In the Air Tonight“ widmen wir uns mit Luft. Eine musikalische Ode an den Odem dem Weitermachen nach dem Lockdown. Wir sprachen mit Regisseurin Anja Herden und Musiker Christian Decker über ihre Arbeit.
Anja, Luft. Eine musikalische Ode an den Odem heißt der Abend, mit dem du dich dem hannoverschen Publikum nicht nur als Schauspielerin, sondern auch als Regisseurin vorstellst. Wie bist du darauf gekommen?
Anja Herden: Die Idee entstand bereits im Frühjahr 2020 – wir alle begannen zu realisieren, was mit Corona auf uns zukommt. Uns Theaterschaffenden war sehr schnell klar, dass Theater ohne die Möglichkeit, „live“ stattzufinden, uns vor große Probleme stellen wird. Genau da entstand die Idee, einen musikalischen Abend zu entwickeln, an dem wir uns diesem Themen-Kosmos, den die Zeit der Isolation aufgeworfen hat, einerseits in Leichtigkeit, anderseits mit all der gebotenen Ernsthaftigkeit, die dem Thema gebührt, widmen. Ich fing deshalb an, einen Abend, der dieser Form gerecht werden könnte, zu konzipieren. Das Thema Zurückkommen und wieder einen irgendwie gearteten Alltag aufzunehmen, beherrschte diese erste Konzeption. Wir schreiben inzwischen das Jahr 2022 – ein Krieg, der Freiheitskampf der Frauen im Iran, ebenso wie die Black-Lives-Matter-Bewegung, die akute Klimasituation und all die daraus resultierenden sehr konkreten und akuten Fragen, Ängste und Bedrohungen, die den derzeitigen Status quo bedeuten, machen unsere Alltage aus. Ein Zurück wird es nicht mehr geben. Wir alle spüren derzeit, dass alles, was unser Miteinander und unser Sein hier bewegt, extrem fragil ist. Viele der Themen, die uns also gerade umtreiben und die man unter dem Titel „Luft“ mit dem Untertitel: „Eine Ode an den Odem“, also an das unbedingt Weiter-miteinander-Atmen, versammeln kann, sind der Versuch, auf einer Bühne mit assoziativen Bildern, fantastischen Begegnungen und natürlich mit viel guter Musik dem Moment zu begegnen.
Warum ist ein musikalischer Abend besonders geeignet, dieses Thema auf die Bühne zu bringen?
Anja Herden: Weil Musik etwas kann, was nur Musik kann: Harmonie schaffen und allen Emotionen Raum geben. Das ist wohl das Wesen der Musik. Mit Musik ist es möglich, den gemeinsamen großen Klang zu kreieren, der uns all die Kraft, den Trost, den Mut, die Hoffnung und den Glauben an eine zutiefst in uns wohnende Möglichkeit geben kann, ein klingendes, erfüllendes Miteinander zu erleben.
Christian Decker: Musik ist ja letztlich bewegte Luft, ohne Luft als Transportmittel gibt es keinen Schall und keine Musik. Als flüchtige Kunst entsteht Musik im Moment der Aufführung, ist schnell verklungen und kann doch Großes bewegen. Luft ist unsichtbar und dennoch überlebensnotwendig. Passt sehr gut zusammen, finde ich.
Ganz kurz: Was bringt ihr mit der Luft in Verbindung?
Anja Herden: Raum ... Freiheit … Grenzenlosigkeit … Fantasie …
Christian Decker: Atmen … Fliegen …
Anja Herden: Leichtigkeit … Sehnsucht nach Schwerelosigkeit …
Christian Decker: Weite, Atmosphäre …
Anja Herden: Leben! Und daraus resultierend das Wissen um die Abhängigkeit der kostbaren Materie.
Und wie werden sich diese Assoziationen im Abend wiederfinden? Was für eine Stimmung, welche Bildwelten wird der Abend aufgreifen?
Anja Herden: Oh, da wird es vieles zu entdecken geben! Wir haben eine Personage von vier Spielenden und vier Musikern versammelt, die alle sehr spezielle, mitunter sehr fantastische Biografien mitbringen, mit denen sie lustvoll durch die „Luft“ wandeln werden. So wird es zum Beispiel die Möglichkeit eines Paradieses geben, in dem es – wie wir alle wissen – nicht so einfach ist zu verweilen … Es wird auch eine herzgebrochene Eva und einen höchst neurotischen Adam geben. Es wird einen verwirrt anarchischen Engel geben und wir werden einer zutiefst enttäuschten Mutter Erde begegnen. Es wird einen leidenschaftlichen Apnoe-Taucher geben, der uns durch das Abenteuer Atmen führen wird. Und es wird den Abgrund geben, vor dem wir stehen, aber auch das Zugeständnis, dass wir ratlos sind, dass Kommunikation, im Kleinen wie im Großen, nicht immer einfach ist, dass es aber immer darum gehen muss, Hoffnung zu schöpfen: Dass jeder Moment des Seins und des Atmens unabdingbar miteinander verknüpft ist. Dass wir daran festhalten, dass es eine Möglichkeit von tiefer Heilung gibt, und dass wir daran glauben, dass Musik uns dabei helfen kann. Dergestalt versuchen wir einen heiteren, einen wilden und einen melancholischen Blick auf diese unsere Umbruchsituation zu werfen.
Was bedeutet das für die musikalische Umsetzung? Welche Songs werden wir hören?
Anja Herden: Von Henry Purcell über Billie Eilish, Peter Alexander, Phil Collins, Björk, die Beatles und AC/DC haben wir einiges versammelt. Das heißt Klassiker wie „In the Air Tonight“, „Blackbird“, „Es liegt was in der Luft“ und „Every Breath You Take“. Aber eben auch „Bad Guy“ oder „Thunderstruck“ von AC/DC. Wir haben das große Glück, dass die zwei großartigen Hannoveraner Musiker Christian Decker (Fury in the Slaughterhouse) und Lutz Krajenski die musikalische Leitung unseres Abends übernehmen und gemeinsam mit Dominik Decker und Kristof Hinz die Songs mit den Spielerinnen aufs nächste Level bringen.
Christian, du wirst die musikalische Leitung für diesen Abend übernehmen und auch selbst als Musiker auf der Bühne stehen – gemeinsam mit drei weiteren Kollegen. Wie ist die Band zusammengesetzt?
Christian Decker: Ich bin sehr froh, dass so großartige und bekannte Musiker dabei sind. Unser Keyboarder und Co-Leiter ist Lutz Krajenski; er prägte jahrelang als musikalischer Direktor, Pianist und Arrangeur den Sound von Roger Cicero, war mit Tom Jones auf Tour, arrangierte für Ulrich Tukur und Jasmin Tabatabai und konzertiert mit seiner eigenen Bigband. Dominik Decker an der Gitarre sammelte mit Marquess europaweit Gold- und Platinauszeichnungen, spielte als Studiogitarrist etwa auf Remixen von Depeche Mode und Placebo. Darüber hinaus tritt er gitarristisch derzeit auch als Solokünstler in Erscheinung. Die Band wird noch komplett durch Kristof Hinz; er ist Professor für Schlagzeug an der Hochschule in Hannover und trommelte für unzählige Theaterproduktionen und Künstler wie Namika, Bobby Bird und Till Brönner.
Anja Herden ist seit 2019 Ensemblemitglied am Schauspiel Hannover. Als Gastdozentin arbeitet sie seit 2020 am Thomas-Bernhard-Institut der Universität Mozarteum in Salzburg. 2022 gewann ihre Inszenierung ¡Los Bernarrrdá's! einen Ensemble-Preis beim Bundeswettbewerb deutschsprachiger Schauspielstudierender.
Christian Decker studierte Kontrabass und E-Bass an den Musikhochschulen Hannover und Hamburg und arbeitet als freischaffender Musiker im Studio und auf der Bühne. Von 2017 bis 2019 war er als musikalischer Leiter am Schauspiel Hannover. Seit 1996 ist er Bassist bei Fury in the Slaughterhouse.