„So eine Rolle hatte ich noch nicht”

 

Im Schauspielhaus feiert Peer Gynt von Henrik Ibsen Premiere. Dramaturgin Lovis Fricke sprach mit Schauspielerin Amelle Schwerk über Freiheit, Trollwelten und Männerfiguren.

 

Amelle, du spielst Peer Gynt. Worum geht es?

 

Es geht um einen Menschen, der sich auf der Suche nach sich selbst in der Welt verliert. Peer Gynts alleinerziehende Mutter Aase versucht, sich und ihrem Sohn über das Alleinsein, die Armut und die Abwesenheit des Vaters hinwegzuhelfen, indem sie ihr Leben kreativ gestaltet, Geschichten erfindet: Märchen, Fantasien, Spirituelles, Religiöses aus der norwegischen Kultur. Peer Gynt wächst damit auf und die fantastischen Geschichten der Mutter formen seine Persönlichkeit. Es ist ein Mechanismus, der dazu führt, dass er sich schnell in eine Fantasie oder eine falsche Vorstellung flüchtet und das reale Leben dadurch in den Hintergrund rückt. Durch die Erfahrungen, die er auf seiner Reise sammelt, kommt er sich selbst dann aber doch sehr nah.

 

Was unterscheidet dich von der Figur Peer Gynt?

 

Ich würde mich als relativ stabile Person bezeichnen, die auch nach Strukturen sucht. Im Gegensatz zu mir ist Peer Gynt eher unberechenbar. Das bewundere ich total, weil ich eben selbst gar nicht so bin. Ihm fehlt zwar Selbstreflektion, aber weil er seine eigenen Muster nicht benennen kann, hat er auch eine größere Freiheit.

 

Amelle Schwerk im Interview mit Lovis Fricke
Foto: Kerstin Schomburg

 

Du sprichst von „er” und „ihm”, das heißt, du spielst die Figur Peer Gynt als Mann?

 

Ja. Ich habe mal ein Interview von einem Regisseur gelesen, der gesagt hat, dass es meistens die Männerfiguren sind, die sich in den Texten mit menschlich essentiellen, existentiellen Fragen auseinandersetzen, und die Frauenfiguren nicht. Das empfinde ich auch so. Peer Gynt ist so eine Männerfigur – bei ihm geht es um Freiheit, Liebe, Erotik, aber auch um Geld und Macht. Diese Themen, in der Fülle und Komplexität – so eine Rolle hatte ich bisher noch nicht, und das macht mir Spaß.

 

Peer trifft zu Beginn des Stücks auf Trolle. Das ist schon eine sehr fantastische Welt. Inwieweit denkt er sich das nur aus oder passiert es wirklich?

 

Die Frage ist während der Proben oft aufgekommen. Klar könnte man die Trollwelt als Fantasie und Lüge bezeichnen, oder man könnte sie als ganz reale Welt verstehen. Ich vermute, dass es ein Dazwischen ist. Es wird behauptet und ist dadurch zugleich Lüge und Wahrheit – Realität und Fantasie. Peer muss sich zurück in die eigene Fantasie kämpfen, damit er handlungsfähig bleibt. Die Szene, in der er auf die Grüne, die Trolltochter, gespielt von Alban Mondschein, trifft, ist ein tolles Beispiel dafür. Wird die Grüne durch Peers Zuschreibung zur Frau? Auf den Proben wird Szene für Szene entschieden, ob die anderen Figuren Peers Spiel mitspielen oder nicht. Inwieweit lassen sie sich von Peer zu etwas machen und wo bestimmen sie selbst, was oder wer sie auch im Bezug zu Peer sind? Das ist schon kompliziert und muss trotzdem nach außen lesbar sein, wobei Kamera, Musik, Kostüme und Bühne sehr helfen, diese Geschichte zu erzählen.

 

Das sind komplexe Vorgänge, die sicher bei den Proben auch mal überfordern. Hast du manchmal das Gefühl, dich selbst in den Proben zu überholen?

 

Ja, absolut. Also manchmal brauche ich dann kurz, um zu verstehen, was ich spiele und warum. Das funktioniert für mich sehr gut mit Lilja Rupprecht, der Regisseurin, weil ich ihr sehr vertraue und trotzdem auch schon an Frustrationsgrenzen gekommen bin. Dann sind Hirn und Körper so verknotet, dass ich das Gefühl habe, ich bin in dem Moment unkreativ. Dass der Vorgang zum Genuss wird, da muss man erst mal hinkommen. An dem Punkt arbeite ich gerade, weil ich schon dazu neige, mich in der Arbeit sehr zu sortieren. Aber manchmal komme ich doch in diese Freiheit, das Unberechenbare von Peer bei mir zu suchen.

 

Judas
Foto: Kerstin Schomburg

 

Es ist nicht das erste Mal, dass du einen Mann spielst. Am 27. April wird das Stück Judas von Lot Vekemans in der Cumberlandschen Galerie wiederaufgenommen – eine andere große Männerrolle.

 

Ja, im Endeffekt sind das beides diese Rollen, die sich den universellen Fragen stellen. Bei Judas wurde zu Beginn der Proben die Frage gestellt, inwiefern das heißt, dass Judas Jesus liebt und ob das mehr zum Thema wird, weil ich ihn als Frau spiele. Die Kostümbildnerin hat sich bei Judas für ein Kostüm entschieden, das zusammen mit dem Bühnenbild in Kombination mit dem Text für eine Dynamik und Körperlichkeit sorgt, dass man sich mit der Frage im Laufe des Stücks nicht mehr so beschäftigt. Judas ist ein Monologstück, in dem ich in direkter Beziehung zum Publikum stehe, während ich bei Peer Gynt eher in Beziehung zu meinen Kolleg:innen stehe. Da die wiederum teils gegensätzlich besetzt sind, entsteht mit deren Figuren ein sexuelles oder intellektuelles Verhältnis oder ein Machtgefälle – daher spielt das Geschlecht bei Peer Gynt eine viel größere Rolle.

 

Und trotzdem ist es für dich persönlich natürlich eine körperliche Suche danach, wie du Raum einnehmen kannst?

 

Vielleicht ist es sogar möglicher dadurch, dass ich als Frau Peer spiele, das Universelle seiner Suche zu sehen. Peer ist Mann und Frau und es sind Themen des Menschen, nicht des Geschlechts, die Peer umtreiben. Wer bin ich? Was macht Erfolg aus? Wie finde ich statt in dieser Welt? Um nur die großen zu nennen.

 

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