Der Mensch als Gegenüber

 

Im Schauspielhaus hat die Koproduktion Yaras Hochzeit Premiere. Antigone Akgün,  Rasit Elibol, Mohamedou Ould Slahi Houbeini und Rik van den Bos haben gemeinsam den Stücktext erarbeitet. Dramaturgin Friederike Schubert sprach mit dem Autorenteam über die Erfahrungen im Writers Room.

 

Gemeinsames Schreiben ist im Theater nicht alltäglich, wie kam es dazu?

 

Rik: Die erste Idee zu diesem Projekt kam von Guy Weizman und Mohamedou. Auf der Grundlage von Edward Saids Buch „Orientalismus“ sollte ein Theaterabend entstehen. Damit sind die beiden auf mich zugekommen, da ich Hausautor von NITE Groningen bin. In unseren ersten Treffen wurde uns klar, dass wir gern mit einer Gruppe Autorinnen und Autoren arbeiten wollen. „Orientalismus“ behandelt, wie der Westen auf den Osten schaut und welche Auswirkungen das immer noch auf unser Zusammenleben hat. Um darüber zu erzählen, ist es wichtig, möglichst viele unterschiedliche Erfahrungswelten einzubeziehen.

 

Mohamedou: Ich habe zwar Erfahrungen mit Orientalismus, das Buch kannte ich aber nicht. Nach dem Lesen hatte ich großen Respekt vor dem Projekt, da das Buch eine akademische Abhandlung ist und mir nicht klar war, wie wir das für die Bühne adaptieren würden. Wir leben nach wie vor in einer Welt, die von orientalistischen Ideen geprägt ist. Ein Beispiel ist der Umgang mit Menschen, die aus Syrien oder aus Afrika fliehen, im Vergleich zu denen, die aus der Ukraine kommen. Wieso denken wir, dass es einen Unterschied zwischen diesen Menschen gibt? Das kommt alles wegen der jahrhundertelangen Zuschreibung des „Anderen“.

 

Antigone: Ich war neugierig zu sehen, wie wir gemeinsam einen Text schreiben würden, und war sehr positiv überrascht. Ich glaube, es liegt ein großes Potenzial darin. Es ist von Vorteil, wenn schon beim Entstehen eines Theatertextes unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen und viele unterschiedliche Erfahrungswelten die Grundlage für ein Stück gestalten.

 

Rasit: Für Theater schreiben war für mich eine neue Erfahrung. Deswegen fand ich es aber auch interessant und aufregend. Es macht großen Spaß, mit einer Gruppe so talentierter Autorinnen und Autoren zusammen zu schreiben, weil man sofort merkt, welche Ideen funktionieren, und man immer wieder von den Gedanken der anderen inspiriert wird.

 

Ihr habt das Buch Orientalismus von Edward Said als Grundlage der Arbeit genannt. Könnt ihr beschreiben, wie ihr von einem wissenschaftlichen Text zu einem Bühnenstück gekommen seid?

 

Rik: Die wichtigste Entscheidung, die wir treffen mussten, war, ob wir eine große, weltpolitische Geschichte oder eine Geschichte, die sich konkret mit unseren Erfahrungen und den kleinen alltäglichen Zuschreibungen beschäftigt, schreiben wollten. Für uns war schnell klar, dass wir uns lieber mit Letzterem beschäftigen wollten, da wir großes Interesse hatten, die orientalistischen Mechanismen unseres alltäglichen Lebens genauer unter die Lupe zu nehmen.

 

Auf der Probe von Yaras Hochzeit
Foto: Aliya Al Uariachi
 

 

Wie konnet ihr eure unterschiedlichen Schreibstile in den Schreibprozess einbringen?

 

Antigone: Ich schreibe zwar fürs Theater, aber meist nicht in Dialogen. Das war für mich eine Herausforderung. Vor allen Dingen, weil wir versuchen wollten, die von Said beschriebenen Strukturen in alltägliche Situationen zu überführen. Ich habe gemerkt, dass ich in dem Moment, in dem ich versucht habe, mich dem zu stellen, immer wieder bei lyrischen Texten lande.

 

Mohamedou, du übersetzt einige Texte des Stückes ins Arabische.

 

Mohamedou: Da ich die einzige Arabisch sprechende Person im Writers Room bin, fällt mir diese Aufgabe zu. Viele denken, dass Übersetzung einfach Wort für Wort funktioniert. Bei der Übertragung ins Arabische schreibe ich in Wirklichkeit ein neues Gedicht oder eben ein neues Lied. Zum Glück spricht im Writers Room sonst niemand Arabisch, niemand weiß, wie gut oder schlecht meine Übersetzung ist. (lacht)

 

Wie stellt ihr euch das Endergebnis vor?

 

Antigone: Ich erwarte eine große Ausgewogenheit zwischen den unterschiedlichen theatralen Elementen und ich hoffe, dass wir die Möglichkeit bekommen werden, an diesem Abend etwas zu erleben, nicht nur mit unserem Geist, sondern mit unserem ganzen Körper.

 

Rasit: Es ist ein super aktuelles Thema und ich finde es wichtig, die Theorie erlebbar zu machen. In den letzten Jahren wurde viel über unsere Unterschiede gesprochen und ich finde gut, dass wir das auch weiterhin tun, ohne Angst und mit großer Offenheit.

 

Was wünscht ihr euch für das Publikum, das Yaras Hochzeit sieht?

 

Mohamedou: Ich wünsche mir, dass wir die Vorurteilsbrille abnehmen und lernen, unsere Gegenüber als Menschen zu sehen. Wir sind Menschen und darin sind wir gleich.

 

Rik: Zuschreibungen und systemische Diskriminierung funktionieren fast unmerklich. Die Momente, die ins Bewusstsein vordringen, sind selten. Wie ein unsichtbares Muster halten sie uns gefangen. Wir haben versucht, einen Text zu schreiben, der die Umrisse dieses Monsters langsam sichtbar macht, der zeigt, wie das Monster Menschen verändert und wie man ihm fast nicht entkommen kann.

 

Antigone: Ich hoffe, dass das Publikum das erlebt, was es erleben will. Wenn man sich auf die große diskursive Ebene einlassen möchte, dann ist das möglich. Wenn man aber einfach nur eine gute Zeit auf einer inszenierten Hochzeit haben möchte, dann ist das genauso möglich. Außerdem hoffe ich, dass die Vielsprachigkeit der Vorstellung auch Menschen ins Theater lockt, die sonst vielleicht nicht zum Stammpublikum gehören.

 

Rasit: Ich hoffe, dass Menschen, die von sich glauben, dass sie keine Zuschreibungen machen, verstehen, dass auch sie nicht frei davon sind. Ich meine, wir alle machen Zuschreibungen. Nicht im Großen, aber in unserem Alltag. Ich hoffe, dass unser Stück das mehr ins Bewusstsein ruft.

 

Zu den Autor:innen:

 

Antigone Akgün (1993, Deutschland), Autorin, Performerin, Dramaturgin und Regisseurin. Sie absolvierte eine Schauspielausbildung in Griechenland und studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Klassische Archäologie, Griechische Philologie und Philosophie in Frankfurt am Main. Seit 2022 ist sie Co-Leiterin des Blogs des Theatertreffens der Berliner Festspiele. Rasit Elibol (1984, Niederlande) ist seit 2017 Redakteur bei „De Groene Amsterdammer”. Er ist The-Hague-Press-Preisträger, stand auf der Shortlist für den European Press Prize. Das Mag veröffentlichte seine The New Colonial Reading List. Mohamedou Ould Slahi Houbeini (1970, Mauretanien), Stipendiat an der Duisburger Mercartor-Universität. Im November 2001 wurde er in Mauretanien verhaftet und von 2002 bis 2016 ohne Anklage in Guantanamo interniert. Seit 2020 ist er Autor in Residence für NITE Groningen und De Bali Amsterdam. Rik van den Bos (1980, Niederlande) studierte szenisches Schreiben an der Theaterschool Utrecht. 2010 erhielt er das Charlotte-Köhler-Stipendium. Er arbeitet regelmäßig mit dem NITE Groningen, zuletzt für „The Underground”.
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